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Interventionismus (1926)

I. Der Interventionismus als Wirtschaftssystem
II. Das Wesen der »Eingriffe«
III. Die produktionspolitischen Eingriffe
IV. Die preispolitischen Eingriffe
V. Destruktion als Ergebnis der Interventionspolitik

I. Der Interventionismus als Wirtschaftssystem

Seit die Bolschewiken ihren Versuch, das sozialistische Gesellschaftsideal mit einem Schlag in Rußland zu verwirklichen, aufgegeben haben und an die Stelle ihrer ursprünglichen Politik die »neue Wirtschaftspolitik«, die »Nep«, haben treten lassen, ist in der ganzen Welt nur noch ein System praktischer Wirtschaftspolitik am Werke: das System des Interventionismus. Ein Teil der Anhänger und Befürworter des Interventionismus hält ihn nur für ein vorläufiges System der Wirtschaftspolitik, das nach einer bestimmten – längeren oder kürzeren – Zeit einem anderen, und zwar dem Sozialismus irgendeiner Spielart, Platz machen soll; hierher gehören alle marxistischen Sozialisten, einschließlich der Bolschewiken, aber auch die konservativen Sozialisten der verschiedenen Richtungen. Andere wieder sind der Meinung, daß wir es im Interventionismus mit einem auf die Dauer berechneten System zu tun haben. Diese Verschiedenheit in der Beurteilung der zeitlichen Geltung der interventio- (611) nistischen Politik hat aber für die Gegenwart nur akademische Bedeutung. Denn alle seine Anhänger und Befürworter sind doch darin einig, daß er für die nächsten Jahrzehnte und vielleicht auch Menschenalter die richtige Politik sei. Sie sehen mithin im Interventionismus eine Wirtschaftspolitik, die zumindest eine, gewisse Zeit hindurch zu bestehen vermag.

Der Interventionismus will das Sondereigentum an den Produktionsmitteln beibehalten, dabei aber das Handeln der Eigentümer der Produktionsmittel durch obrigkeitliche Gebote, vor allem aber durch obrigkeitliche Verbote, regulieren. Wenn diese obrigkeitliche Leitung des Handelns der Eigentümer der Produktionsmittel und der mit Zustimmung der Eigentümer über sie verfügenden Unternehmer so weit geht, daß alle wesentlichen Verfügungen auf Grund obrigkeitlicher Weisung vorgenommen werden, so daß nicht mehr das Gewinnstreben der Grundeigentümer, Kapitalisten und Unternehmer, sondern die Staatsräson darüber entscheidet, was und wie produziert wird, dann haben wir Sozialismus vor uns, mag auch der Name des Sondereigentums erhalten bleiben. Sehr richtig sagt Spann von einem so eingerichteten Gemeinwesen, daß es dort zwar »formell Privateigentum, der Sache nach aber nur Gemeineigentum gibt«.(1) Gemeineigenturn an den Produktionsmitteln ist aber nichts anderes als Sozialismus, als Kommunismus.

Doch der Interventionismus will eben, und das gerade kennzeichnet ihn, nicht so weit gehen. Er will das Sondereigentum an den Produktionsmitteln nicht aufheben, sondern nur einschränken. Er erklärt einerseits, daß das uneingeschränkte Sondereigentum an den Produktionsmitteln der Gesellschaft schädlich sei, aber er hält anderseits das Gemeineigentum an den Produktionsmitteln, den Sozialismus, entweder überhaupt oder doch wenigstens für den Augenblick für undurchführbar. Und so will er etwas drittes schaffen: einen Gesellschaftszustand, der in der Mitte zwischen Sondereigentum an den Produktionsmitteln auf der einen Seite und gesellschaftlichem Eigentum an den Produktionsmitteln auf der anderen Seite liegt. Damit sollen die »Auswüchse« und Schäden des Kapitalismus vermieden werden und doch die Vorteile freier Initiative und Regsamkeit gewahrt bleiben, die der Sozialismus nicht gewähren kann.

Das, was die Vorkämpfer dieses Systems eines durch den (612) Staat und andere Faktoren der gesellschaftlichen Organisation geleiteten, regulierten und kontrollierten Sondereigentums hier verlangen, ist von den politischen Machthabern und von den Massen stets angestrebt worden. Als es noch keine Wissenschaft der Nationalökonomie gab, als man noch nicht entdeckt hatte, daß die Preise nicht willkürlich »gemacht«werden, daß sie vielmehr durch die Lage des Marktes innerhalb sehr enger Grenzen festgelegt sind, suchte man durch behördliche Befehle den Gang der Wirtschaft zu regeln. Erst das System der klassischen Nationalökonomie zeigte, daß alle derartigen Eingriffe in das Getriebe des Marktes niemals den Erfolg erzielen können, den die Obrigkeit mit ihnen zu erreichen beabsichtigt. Der alte Liberalismus, die auf den Lehren der klassischen Nationalökonomie aufgebaute Wirtschaftspolitik, lehnt daher alle diese Eingriffe grundsätzlich ab. Laissez faire et laissez passer! Aber auch der marxistische Sozialismus hat dem Interventionismus gegenüber keine andere Haltung eingenommen als die Liberalen. Er hat sich bemüht, die Widersinnigkeit aller interventionistischen Vorschläge, die er verächtlich mit dem Ausdruck »kleinbürgerlich« belegte, darzutun. Die Ideologie, die heute die Welt beherrscht, empfiehlt aber gerade das vom Liberalismus und vom älteren Marxismus abgelehnte System der Wirtschaftspolitik.

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(1) Vgl. Spann, Der wahre Staat, Leipzig 1921. S. 249.