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Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen (1920)

Einleitung
I. Die Verteilung der Konsumgüter im sozialistischen Gemeinwesen
II. Das Wesen der Wirtschaftsrechnung
III. Die Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen
IV. Verantwortung und Initiative im gemeinwirtschaftlichen Betrieb

II. Das Wesen der Wirtschaftsrechnung

II. Jedermann, der, im wirtschaftlichen Leben handelnd, zwischen der Befriedigung zweier Bedürfnisse, von denen nur das eine befriedigt werden kann, wählt, setzt Werturteile. Die Werturteile erfassen zunächst und unmittelbar nur die Bedürfnisbefriedigung selbst; von dieser gehen sie auf die Güter erster Ordnung und dann weiter auf die Güter höherer Güterordnungen zurück. In der Regel ist der seiner Sinne mächtige Mensch ohne weiteres in der Läge, die Güter erster Ordnung zu bewerten. Unter einfachen Verhältnissen gelingt es ihm auch ohne Mühe, sich über die Bedeutung, die die Güter höherer Ordnung für ihn haben, ein Urteil zu bilden. Wo aber die Lage der Dinge etwas verwickelter wird und die Zusammenhänge schwieriger zu durchblicken sind, müssen feinere Erwägungen angestellt werden, um die Bewertung von Produktionsmitteln richtig – natürlich nur im Sinne des wertenden Subjektes und nicht in einem objektiven, irgendwie allgemein gültigen Sinne gesprochen – durchzuführen. Es mag dem isoliert wirtschaftenden Landwirt nicht schwer fallen, eine Entscheidung zwischen der Erweiterung der Viehhaltung und der Ausdehnung der Jagdtätigkeit zu treffen. Die einzuschlagenden Produktionswege sind hier noch verhältnismäßig kurz, und der Aufwand, den sie erfordern, und der Ertrag, den sie in Aussicht stellen, können leicht überblickt werden. Aber ganz anders ist es, wenn man etwa zwischen der Nutzbarmachung eines Wasserlaufs für die Erzeugung von elektrischer Kraft und der Ausdehnung des Kohlenbergbaues und der Schaffung von Anlagen zur besseren Ausnützung der in den Kohlen steckenden Energie wählen soll. Hier sind der Produktionsumwege sehr viele, und jeder einzelne von ihnen ist so lange, hier sind die Bedingungen für den Erfolg der einzuleitenden Unternehmungen so vielfältig, daß man es keinesfalls mit bloß vagen Schätzungen bewenden lassen kann, und es genauer Berechnungen bedarf, um sich über die Wirtschaftlichkeit des Vorgehens ein Urteil zu bilden.

Rechnen kann man nur mit Einheiten. Eine Einheit des subjektiven Gebrauchswertes der Güter kann es aber nicht geben. Der Grenznutzen stellt keine Werteinheit dar, da bekanntlich der Wert zweier Einheiten aus einem gegebenen Vorrat (94) nicht doppelt so groß ist als der einer Einheit, sondern notwendig größer sein muß. Das Werturteil mißt nicht, es stuft ab, es skaliert.(2) Auch der isolierte Wirt einer verkehrslosen Wirtschaft kann daher, wenn er dort, wo das Werturteil nicht unmittelbar evident aufscheint, eine Entscheidung treffen soll und sein Urteil nur auf einer mehr oder weniger genauen Rechnung aufbauen muß, nicht mit dem subjektiven Gebrauchswert allein operieren; er muß Substitutionsbeziehungen zwischen den Gütern konstruieren, an deren Hand er dann rechnen kann. Es wird ihm dabei in der Regel nicht gelingen, alles auf eine Einheit zurückzuführen; Doch er wird, sobald es ihm nur überhaupt glückt, alle in die Rechnung einzubeziehenden Elemente auf solche wirtschaftliche Güter zurückzuführen, die von einem unmittelbar evidenten Werturteil erfaßt werden können, also auf die Güter erster Ordnung und auf das Arbeitsleid, für seine Rechnung damit das Auslangen finden. Daß das nur in recht einfachen Verhältnissen möglich ist, leuchtet wohl ein. Für verwickeltere und längere Produktionsverfahren würde das keineswegs ausreichen.

In der Verkehrswirtschaft tritt der objektive Tauschwert der Güter als Einheit der Wirtschaftsrechnung in Erscheinung. Das bringt dreifachen Vorteil. Einmal ermöglicht es, die Rechnung auf der Wertung aller am Verkehr teilnehmenden Wirte aufzubauen. Der subjektive, Gebrauchswert des einzelnen ist als rein individuelle Erscheinung unmittelbar mit dem subjektiven Gebrauchswert anderer Menschen nicht vergleichbar. Er wird es erst im Tauschwert, der aus dem Zusammenspiel der subjektiven Wertschätzung aller am Tauschverkehr teilnehmenden Wirte entsteht. Dann aber bringt die Rechnung nach Tauschwert eine Kontrolle über die zweckmäßige Verwendung der Güter. Wer einen komplizierten Produktionsprozeß kalkulieren will, merkt es gleich, ob er wirtschaftlicher als die anderen arbeitet oder nicht; kann er im Hinblick auf die auf dem Markte herrschenden Austauschverhältnisse die Produktion nicht rentabel durchführen, so liegt darin der Hinweis darauf, daß andere die fraglichen Güter höherer Ordnung besser zu verwerten verstehen. Endlich aber ermöglicht die Rechnung nach Tauschwert die Zurückführung der Werte auf eine Einheit. Dafür kann, da die Güter untereinander nach der Aus- (95) tauschrelation des Marktes substituierbar sind, jedes beliebige Gut gewählt werden. In der Geldwirtschaft wird hier das Geld gewählt.

Die Geldrechnung hat ihre Grenzen. Das Geld ist kein Maßstab des Wertes, auch kein Maßstab des Preises. Der Wert wird ja nicht in Geld gemessen. Auch die Preise werden nicht in Geld gemessen, sie bestehen in Geld. Das Geld ist als wirtschaftliches Gut nicht »wertstabil«, wie man bei seiner Verwendung als standard of deferred payments naiv anzunehmen pflegt. Das zwischen den Gütern und dem Gelde bestehende Austauschverhältnis ist beständigen, wenn auch in der Regel nicht allzuheftigen Schwankungen, die nicht nur von Seite der übrigen wirtschaftlichen Güter, sondern auch von Seite des Geldes herrühren, unterworfen, Das stört freilich die Wertrechnung am allerwenigsten, die ja im Hinblick auf die nie rastenden Veränderungen der übrigen wirtschaftlichen Bedingungen nur kurze Zeiträume ins Auge zu fassen pflegt, Zeiträume, in denen wenigstens das »gute« Geld in der Regel nur kleineren Schwankungen der Austauschverhältnisse von seiner Seite her zu unterliegen pflegt. Die Unzulänglichkeit der Geldrechnung des Wertes stammt zum Hauptteil nicht daher, daß in einem allgemein gebräuchlichen Tauschmittel, im Geld, gerechnet wird, sondern daher, daß es überhaupt der Tauschwert ist, der der Rechnung zugrunde gelegt wird, und nicht der subjektive Gebrauchswert. So können in die Rechnung alle jene wertbestimmenden Momente nicht eingehen, die außerhalb des Austauschverkehres stehen. Wer die Rentabilität des Ausbaues einer Wasserkraft berechnet, kann in diese Rechnung die Schönheit des Wasserfalles, die unter der Anlage leiden müßte, nicht einsetzen, es wäre denn, daß er etwa den Rückgang des Fremdenverkehres u. dgl., was im Verkehr seinen Tauschwert hat, berücksichtigt. Und doch liegt hier ein Umstand vor, der bei der Frage, ob, der Bau ausgeführt werden soll oder nicht, mit in Erwägung gestellt wird. Man pflegt diese Momente als »außerwirtschaftliche« zu bezeichnen. Das mag zutreffen. Ueber Terminologien soll nicht gestritten werden. Aber unrationell darf man die Erwägungen, die dazu führen, auch sie zu berücksichtigen, nicht bezeichnen. Die Schönheit einer Gegend oder eines Gebäudes, die Gesundheit, das Glück und die Zufriedenheit von Menschen, die Ehre einzelner oder ganzer Völker, sind, (96) wenn sie von den Menschen als bedeutungsvoll erkannt werden, auch dann, wenn sie nicht im Verkehr substituierbar erscheinen und daher in kein Tauschverhältnis eingehen, ebenso Motive des rationellen Handelns wie die im eigentlichen Sinne wirtschaftlichen. Daß die Geldrechnung sie nicht erfassen kann, ist in ihrem Wesen gelegen, kann aber die Bedeutung der Geldrechnung für unser wirtschaftliches Tun und Lassen nicht herabmindern. Denn alle jene ideellen Güter sind Güter erster Ordnung, sie können von unserem Werturteil unmittelbar erfaßt werden, und es macht daher keine Schwierigkeiten, sie zu berücksichtigen, auch wenn sie außerhalb der Geldrechnung bleiben müssen. Daß die Geldrechnung sie nicht berücksichtigt, macht ihre Beachtung im Leben nicht schwerer, sie erleichtert sie eher. Wenn wir genau wissen, wie teuer uns die Schönheit, die Gesundheit, die Ehre, der Stolz zu stehen kommen, kann uns nichts hindern, sie entsprechend zu berücksichtigen. Es mag einem zartfühlenden Gemüt peinlich scheinen, ideelle Güter gegen materielle abwägen zu müssen. Aber daran ist nicht die Geldrechnung schuld, das liegt im Wesen der Dinge. Auch wo unmittelbar ohne Wert- und Geldrechnung Werturteile gesetzt werden, kann man die Wahl zwischen materieller und ideeller Befriedigung nicht umgehen. Auch der isolierte Wirt, auch die sozialistische Gesellschaft müssen zwischen »ideellen« und »materiellen« Gütern wählen. Edle Naturen werden es nie peinlich empfinden, wenn sie zwischen Ehre und etwa Nahrung zu wählen haben. Sie werden wissen, wie sie in solchen Fällen zu handeln haben. Wenn man Ehre auch nicht essen kann, so kann man doch auf Essen um der Ehre willen verzichten. Nur die, die der Qual solcher Wahl enthoben sein wollen, weil sie sich nicht entschließen könnten, um ideeller Vorteile willen auf materielle Genüsse zu verzichten, sehen in der Wahl an sich schon eine Profanation der wahren Werte.

Die Geldrechnung hat nur in der Wirtschaftsführung Sinn. Hier wendet man sie an, um die Verfügung über wirtschaftliche Güter den Regeln der Wirtschaftlichkeit anzupassen. Die wirtschaftlichen Güter treten dabei in sie nur in jenen Mengen ein, die gegen Geld ausgetauscht werden, jede Erweiterung des Anwendungsgebietes der Geldrechnung führt zu Mißgriffen. Die Geldrechnung versagt, wenn man sie in geschichtlichen Unter-suchungen über die Entwicklung der wirtschaftlichen Verhält- (97) nisse als Maßstab der Güterwelt zu verwenden sucht, sie versagt, wenn man an ihrer Hand Volksvermögen und Volkseinkommen zu schätzen sucht, wenn man mit ihr den Wert von Gütern berechnen will, die außerhalb des Tauschverkehres stehen, wie etwa, wenn man die Menschenverluste durch Auswanderung oder durch Kriege in Geld zu berechnen strebt.(3) Das sind dilettantische Spielereien, mögen sie auch mitunter von sehr einsichtigen Nationalökonomen betrieben werden.

Doch innerhalb dieser Grenzen, die sie im wirtschaftlichen Leben nie überschreitet, leistet die Geldrechnung all das, was wir von der Wirtschaftsrechnung verlangen müssen. Sie gibt uns einen Wegweiser durch die erdrückende Fülle der wirtschaftlichen Möglichkeiten. Sie gestattet uns, das Werturteil, das sich in unmittelbarer Evidenz nur an die genußreifen Güter und bestenfalls noch an die Produktivgüter der niedrigsten Güterordnungen knüpft, auf alle Güter höherer Ordnung auszudehnen. Sie macht den Wert rechenbar, sie gibt uns damit erst die Grundlagen für alles Wirtschaften mit Gütern höherer Ordnung. Hätten wir sie nicht, dann wäre alles Produzieren mit weit ausholenden Prozessen, dann wären alle längeren kapitalistischen Produktionsumwege ein Tappen im Dunkeln.

Zwei Bedingungen sind es, die die Wertrechnung in Geld ermöglichen. Zunächst müssen nicht nur die Güter erster Ordnung, sondern auch die Güter höherer Ordnung, soweit sie von ihr erfaßt werden sollen, im Tauschverkehr stehen. Stünden sie nicht im Tauschverkehr, dann würde es nicht zur Bildung von Austauschverhältnissen kommen. Es ist wahr, auch die Erwägungen, die der isolierte Wirt anstellen muß, wenn er innerhalb seines Hauses durch Produktion Arbeit und Mehl gegen Brot eintauschen will, sind von jenen, die er anstellt, wenn er auf dem Markte Brot gegen Kleider eintauschen will, nicht verschieden, und man ist daher in gewissem Sinne im Recht, wenn man jedes wirtschaftliche Handeln, also auch das Produzieren des isolierten Wirtes, als Tausch bezeichnet.(4) Doch der Geist eines Menschen allein – und sei es auch der genialste – ist zu schwach, um die Wichtigkeit eines jeden einzelnen von un- (98) endlich vielen Gütern höherer Ordnung zu erfassen. Kein einzelner kann die unendliche Fülle verschiedener Produktionsmöglichkeiten dermaßen beherrschen, daß er imstande wäre, ohne Hilfsrechnung unmittelbar evidente Werturteile zu setzen. Die Verteilung der Verfügungsgewalt über die wirtschaftlichen Güter der arbeitsteilig wirtschaftenden Sozialwirtschaft auf viele Individuen bewirkt eine Art geistiger Arbeitsteilung, ohne die Produktionsrechnung und Wirtschaft nicht möglich wären.

Die zweite Bedingung ist die, daß ein allgemein gebräuchliches Tauschmittel, ein Geld, in Verwendung steht, das auch im Austausch der Produktionsgüter seine Vermittlerrolle spielt. Wäre dies nicht der Fall, dann wäre es nicht möglich, alle Austauschverhältnisse auf einen einheitlichen Nenner zurückzuführen.

Nur unter einfachen Verhältnissen vermag die Wirtschaft ohne Geldrechnung auszukommen. In der Enge der geschlossenen Hauswirtschaft, wo der Familienvater das ganze wirtschaftliche Getriebe zu überblicken vermag, kann man die Bedeutung von Veränderungen des Erzeugungsverfahrens auch ohne die Stütze, die sie dem Geist gewährt, mehr oder weniger genau abschätzen. Der Produktionsprozeß wickelt sich hier unter verhältnismäßig geringer Anwendung von Kapital ab. Er schlägt wenig kapitalistische Produktionsumwege ein; was erzeugt wird, sind in der Regel, Genußgüter oder doch den Genußgütern nicht allzu fernstehende Güter höherer Ordnung. Die Arbeitsteilung ist noch in den allerersten Anfängen; ein und derselbe Arbeiter bewältigt die Arbeit eines ganzen Produktionsverfahrens von seinem Anfang bis zur Vollendung des genußreifen Gutes. Das alles ist in der entwickelten gesellschaftlichen Produktion anders. Es geht nicht an, in den Erfahrungen einer längst überwundenen Zeit einfacher Produktion ein Argument für die Möglichkeit, im Wirtschaften ohne Geldrechnung auszukommen, zu suchen.

Denn in den einfachen Verhältnissen der geschlossenen Hauswirtschaft kann man den ganzen Weg vom Beginn des Produktionsprozesses bis zu seiner Vollendung übersehen und immer beurteilen, ob das eine oder das andere Verfahren mehr genußreife Güter gibt. Das ist in den unvergleichlich verwickelteren Verhältnissen unserer Wirtschaft nicht mehr möglich. Es wird auch für die sozialistische Gesellschaft ohne weiteres klar sein daß 1000 hl Wein besser sind als 800 hl und sie kann (99) ohne weiteres die Entscheidung treffen, ob ihr 1000 hl Wein lieber sind als 500 hl Oel oder nicht. Um dies festzustellen, bedarf es keiner Rechnung; hier entscheidet der Willen der handelnden Wirtschaftssubjekte. Aber wenn einmal diese Entscheidung gefällt ist, dann beginnt erst die eigentliche Aufgabe der rationellen Wirtschaftsführung: die Mittel in ökonomischer Weise in den Dienst der Zwecke zu stellen. Das kann nur mit Hilfe der Wirtschaftsrechnung geschehen. Der menschliche Geist kann sich in der verwirrenden Fülle der Zwischenprodukte und der Produktionsmöglichkeiten nicht zurecht finden, wenn ihm diese Stütze fehlt. Er stünde allen Verfahrens- und Standortsfragen ratlos gegenüber.(5)

Es ist eine Illusion, wenn man glaubt, man könnte die Geldrechnung in der sozialistischen Wirtschaft durch die Naturalrechnung ersetzen. Die Naturalrechnung kann in der verkehrslosen Wirtschaft immer nur die genußreifen Güter erfassen, sie versagt vollkommen bei allen Gütern höherer Ordnung. Sobald man die freie Geldpreisbildung der Güter höherer Ordnung aufgibt, hat man rationelle Produktion, überhaupt unmöglich gemacht. Jeder Schritt, der uns vom Sondereigentum an den Produktionsmitteln und vom Geldgebrauch wegführt, führt uns auch von der rationellen Wirtschaft weg.

Man konnte dies übersehen, weil all das, was wir vom Sozialismus bereits um uns herum verwirklicht sehen, nur sozialistische Oasen in der bis zu einem gewissen Grade doch immerhin noch freien Wirtschaft mit Geldverkehr sind. In dem e i n e n Sinne kann der im übrigen haltlosen und nur aus agitatorischen Gründen vertretenen Behauptung der Sozialisten, daß die Verstaatlichung und Verstaatlichung von Unternehmungen noch kein Stück Sozialismus darstelle, zugestimmt werden, daß nämlich diese Betriebe in ihrer Geschäftsführung durch den sie um gebenden Wirtschaftsorganismus des freien Verkehrs soweit gestützt werden, daß die wesentliche Eigentümlichkeit sozialistischer Wirtschaft bei ihnen gar nicht zutage treten konnte. In Staats- und Gemeindebetrieben werden technische Verbesserungen durchgeführt, weil man ihre Wirkung in gleichartigen privaten Unternehmungen des In- und Auslandes beobachten kann, und weil die Privatindustrie, die die Behelfe dieser Ver- (100) besserungen erzeugt, den Anstoß zu ihrer Einführung gibt. Man kann in diesen Betrieben die Vorteile von Umgestaltungen feststellen, weil sie rings umgeben sind von einer auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln und auf dem Geldverkehr beruhenden Gesellschaft, so daß sie zu rechnen und Bücher zu führen vermögen, was sozialistische Betriebe in einer rein sozialistischen Umgebung nicht könnten.

Ohne Wirtschaftsrechnung keine Wirtschaft. Im sozialistischen Gemeinwesen kann es, da die Durchführung der Wirtschaftsrechnung unmöglich ist, überhaupt keine Wirtschaft in unserem Sinne geben. Im Kleinen und in nebensächlichen Einzeldingen mag auch weiterhin rationell gehandelt werden. Doch im allgemeinen könnte von rationeller Erzeugung nicht mehr gesprochen werden. Es gäbe kein Mittel, zu erkennen, was rationell ist, und so könnte die Erzeugung bewußt nicht auf Wirtschaftlichkeit eingestellt werden. Was das, auch ganz abgesehen von den Folgen für die Versorgung der Menschen mit Gütern, bedeutet, ist klar. Die Rationalität des Handelns wird von dem Gebiet, auf dem ihre eigentliche Domäne liegt, verdrängt. Wird es dann überhaupt noch Rationalität des Handelns, ja überhaupt noch Rationalität und Logik im Denken geben können? Geschichtlich ist der menschliche Rationalismus aus der Wirtschaft erwachsen. Wird er sich überhaupt noch halten können, wenn er von hier verdrängt sein wird?

Eine Zeitlang mag immerhin die Erinnerung an die im Laufe der Jahrtausende freier Wirtschaft gesammelten Erfahrungen den vollen Verfall der Wirtschaftskunst aufzuhalten imstande sein. Die alten Verfahrensarten werden beibehalten werden, nicht weil sie rationell, sondern weil sie durch die Ueberlieferung geheiligt erscheinen. Sie werden mittlerweile unrationell geworden sein, weil sie den neuen Verhältnissen nicht mehr entsprechen. Sie werden durch die allgemeine Rückbildung des wirtschaftlichen Denkens Veränderungen erfahren, die sie unwirtschaftlich machen werden. Die Versorgung wird nicht mehr anarchisch vor sich gehen, das ist wahr. Ueber allen der Bedarfsdeckung dienenden Handlungen wird der Befehl einer obersten Stelle walten. Doch an Stelle der Wirtschaft der anarchischen Produktionsweise wird das sinnlose Gebaren eines vernunftlosen Apparates getreten sein. Die Räder werden sich drehen, doch sie werden leer laufen.

(101) Man vergegenwärtige sich die Lage des sozialistischen Gemeinwesens. Da gibt es Hunderte und Tausende von Werkstätten, in denen gearbeitet wird. Die wenigsten von ihnen erzeugen gebrauchsfertige Waren; in der Mehrzahl werden Produktionsmittel und Halbfabrikate erzeugt. Alle diese Betriebe stehen untereinander in Verbindung. Sie durchwandert der Reihe nach jedes wirtschaftliche Gut, bis es genußreif wird. In dem rastlosen Getriebe dieses Prozesses fehlt aber der Wirtschaftsleitung jede Möglichkeit, sich zurecht zu finden. Sie kann nicht feststellen, ob das Werkstück auf dem Wege, den es zu durchlaufen hat, nicht überflüssigerweise aufgehalten wird, ob an seine Vollendung nicht Arbeit und Material verschwendet werden. Welche Möglichkeit hätte sie, zu erfahren, ob diese oder jene Erzeugungsart die vorteilhaftere ist? Sie kann bestenfalls die Güte und Menge des genußreifen Endergebnisses der Erzeugung vergleichen, aber sie wird nur in den seltensten Fällen in der Lage sein, den bei der Erzeugung gemachten Aufwand zu vergleichen. Sie weiß genau, welchen Zielen ihre Wirtschaftsführung zustreben soll oder glaubt es zu wissen, und sie soll darnach handeln, d. h., sie soll die angestrebten Ziele mit dem geringsten Aufwand erreichen. Um den billigsten Weg zu finden, muß sie rechnen. Diese Rechnung kann natürlich nur eine Wertrechnung sein; es ist ohne weiteres klar und braucht keiner näheren Begründung, daß sie nicht technisch sein, nicht auf dem objektiven Gebrauchswert (Nutzwert) der Güter und Dienstleistungen aufgebaut werden kann.

In der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsordnung wird die Wertrechnung von allen selbständigen Gliedern der Gesellschaft geführt. jedermann ist an ihrem Zustandekommen in zweifacher Weise beteiligt, einmal als Verbraucher, das andere Mal als Erzeuger. Als Verbraucher setzt er die Rangordnung der gebrauchs- und verbrauchsreifen Güter fest; als Erzeuger zieht er die Güter höherer Ordnung in jene Verwendung, in der sie den höchsten Ertrag abzuwerfen versprechen. Damit erhalten auch alle Güter höherer Ordnung die ihnen nach dem augenblicklichen Stand der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse und der gesellschaftlichen Bedürfnisse zukommende Rangordnung. Durch das Zusammenspiel der beiden Wertungsprozesse wird dafür Sorge getragen, daß das wirtschaftliche Prinzip überall, im (102) Verbrauch sowohl als in der Erzeugung, zur Herrschaft gelangt. Es bildet sich jenes genau abgestufte System der Preise heraus, das jedermann in jedem Augenblick gestattet, seinen eigenen Bedarf mit dem Kalkul der Wirtschaftlichkeit in Einklang zu bringen.

Das alles fehlt notwendigerweise im sozialistischen Gemeinwesen. Die Wirtschaftsleitung mag genau wissen, was für Güter sie am dringendsten benötigt. Aber damit hat sie erst den einen Teil des für die Wirtschaftsrechnung Erforderlichen gefunden. Den anderen Teil, die Bewertung der Produktionsmittel, muß sie entbehren. Den Wert, der der Gesamtheit der Produktionsmittel zukommt, vermag sie festzustellen; der ist selbstverständlich gleich dem Wert, der der Gesamtheit der durch ihn befriedigten Bedürfnisse zukommt. Sie vermag auch zu berechnen, wie groß der Wert eines einzelnen Produktionsmittels ist, wenn sie die Bedeutung des Ausfalles an Bedürfnisbefriedigung berechnet, der durch seinen Wegfall entsteht. Doch sie kann ihn nicht auf einen einheitlichen Preisausdruck zurückführen, wie dies die freie Wirtschaft, in der alle Preise auf einen gemeinsamen Ausdruck in Geld zurückgeführt werden können, vermag.

In der sozialistischen Wirtschaft, die zwar nicht notwendigerweise das Geld vollständig beseitigen muß, wohl aber den Ausdruck der Preise der Produktionsmittel (einschließlich der Arbeit) in Geld unmöglich macht, kann das Geld in der Wirtschaftsrechnung keine Rolle spielen.(6)

Man denke an den Bau einer neuen Eisenbahnstrecke. Soll man sie überhaupt bauen und wenn ja, welche von mehreren denkbaren Strecken soll gebaut werden? In der freien Verkehrs- und Geldwirtschaft vermag man die Rechnung in Geld aufzustellen. Die neue Strecke wird bestimmte Gütersendungen verbilligen, und man vermag nun zu berechnen, ob diese Verbilligung so groß ist, daß sie die Ausgaben, die der Bau und der Betrieb der neuen Linie erfordern, übersteigt. Das kann nur in Geld berechnet werden. Durch die Gegenüberstellung von verschie- (103) denartigen Naturalausgaben und Naturalersparungen vermag man hier nicht zum Ziele zu kommen. Wenn man keine Möglichkeit hat, Arbeitsstunden verschieden qualifizierter Arbeit, Eisen Kohle, Baumaterial jeder Art, Maschinen und andere Dinge die Bau und Betrieb von Eisenbahnen erfordern, auf eine gemeinsamen Ausdruck zu bringen, dann kann man die Rechnung nicht durchführen. Die wirtschaftliche Trassierung ist nur möglich, wenn man alle in Betracht kommenden Güter auf Geld zurückzuführen vermag. Gewiß, die Geldrechnung hat ihre Unvollkommenheiten und ihre schweren Mängel, aber wir haben eben nichts besseres an ihre Stelle zu setzen; für die praktischen Zwecke des Lebens reicht die Geldrechnung eines gesunden Geldwesens immerhin aus. Verzichten wir auf sie, dann wird jeder Wirtschaftskalkul schlechthin unmöglich

Die sozialistische Gemeinschaft wird sich freilich zu helfen wissen. Sie wird ein Machtwort sprechen und sich für oder gegen den geplanten Bau entscheiden. Doch diese Entscheidung wird bestenfalls auf Grund vager Schätzungen erfolgen; niemals wird sie auf der Grundlage eines genauen Wertkalkuls aufgebaut sein.

Die statische Wirtschaft vermag ohne Wirtschaftsrechnung auszukommen. Hier wiederholt sich im Wirtschaftlichen ja nur immer wieder dasselbe, und wenn wir annehmen, daß die erste Einrichtung der statischen sozialistischen Wirtschaft auf Grund der letzten Ergebnisse der freien Wirtschaft erfolgt, dann könnten wir uns ja allenfalls eine wirtschaftlich rationell geleitete sozialistische Produktion vorstellen. Doch das ist, eben nur in Gedanken möglich. Ganz abgesehen davon, daß es statische Wirtschaft im Leben nie geben kann, da sich die Daten immerfort verändern, so daß die Statik des Wirtschaftens nur eine – wenn auch für unser Denken und für die Ausbildung unserer Erkenntnis vom Wirtschaftlichen notwendige – gedankliche Annahme ist, der im Leben kein Zustand entspricht, müssen wir doch annehmen, daß der Uebergang zum Sozialismus schon infolge der Ausgleichung der Einkommensunterschiede und der durch sie bedingten Verschiebungen im Verbrauch und mithin auch in der Erzeugung alle Daten derart verändert, daß die Anknüpfung an den letzten Zustand der freien Wirtschaft unmöglich ist. Dann aber haben wir eine sozialistische Wirtschaftsordnung vor uns, die im Ozean, der möglichen und denk- (104) baren Wirtschaftskombinationen ohne die Bussole der Wirtschaftsrechnung umherfährt.

Jede wirtschaftliche Veränderung wird so im sozialistischen Gemeinwesen zu einem Unternehmen, dessen Erfolg weder im vorhinein abgeschätzt noch auch später rückschauend festgestellt werden kann. Alles tappt hier im Dunkeln. Sozialismus ist Aufhebung der Rationalität der Wirtschaft.

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(2) vgl. Cuhel, Zur Lehre von den Bedürfnissen. Innsbruck 1907, S. 198 ff.

(3) Vgl. dazu Wieser, Ueber den Ursprung und die Hauptgesetze des wirtschaftlichen Wertes. Wien 1884, S. 185ff.

(4) Vgl. Mises, Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel. München und Leipzig 1912 S. 16, und die dort Zitierten.

(5) Vgl. Gottl-Ottlilienfeld, Wirtschaft und Technik (Grundriß der Sozialökonomik. 11. Abteilung. Tübingen 1914), S. 216.

(6) Das hat auch Neurath (Durch die Kriegswirtschaft zur Naturalwirtschaft. München 1919 S. 216 f.) erkannt. Er stellt die Behauptung auf, daß jede vollständige Verwaltungswirtschaft letzten Endes Naturalwirtschaft ist. »Sozialisieren heißt daher die Naturalwirtschaft fördern.« Neurath übersieht nur die unüberwindbaren Schwierigkeiten, die der Wirtschaftsrechnung im sozialistischen Gemeinwesen erwachsen müssen.