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Die geldtheoretische Seite des Stabilisierungsproblems (1923)

IV. Die Relation.
V. Die Bedenken der Anhänger der „Zahlungs-Bilanztheorie“.
Vl. Das Argument des Inflationismus.
VII. Die neue Geldverfassung.
VIII. Die ideologische Bedeutung der Reform.

V. Die Bedenken der Anhänger der „Zahlungs-Bilanztheorie“.

(21) Die landläufige Auffassung glaubt, daß die Herstellung geordneter Währungsverhältnisse nur bei „aktiver Zahlungsbilanz“ möglich sei. Ein Land mit „passiver Zahlungsbilanz“ könne den Geldwert auf die Dauer nicht stabilisieren, die Verschlechterung der Valuta sei hier organisch begründet und könnte wirksam nicht anders bekämpft werden als durch Behebung der organischen Mängel.

Die Zurückweisung dieser und verwandter Einwendungen ist in der Lehre der Quantitätstheorie und im Greshamschen Gesetz bereits enthalten. Die Quantitätstheorie zeigt, daß in einem Lande, in dem nur Sachgeld gebraucht wird (die purely metallic currency der Currency-Theorie), das Geld niemals ins Ausland auf die Dauer abströmen kann. Die Beengung auf dem Inlandsmarkte, die durch das Abfließen eines Teiles der Geldmenge hervorgerufen wird, ermäßigt die Warenpreise, dämmt damit die Einfuhr ein und fördert die Ausfuhr, bis die inländische Wirtschaft wieder mit Geld gesättigt ist. Die den Gelddienst versehenden Edelmetalle verteilen sich auf die einzelnen Individualwirtschaften und mithin auch auf die einzelnen Volkswirtschaften nach Maßgabe der Größe und der Intensität ihres Geldbedarfes. Staatliche Eingriffe, die durch Regulierung der internationalen Geldbewegungen der Volkswirtschaft die benötigten Geldmengen sichern wollen, sind überflüssig. Das unerwünschte Abfließen des Geldes kann immer nur die Folge einer staatlichen Intervention sein, die verschieden bewertetes Geld mit der gleichen gesetzlichen Zahl- (22) kraft ausstattet. Alles, was der Staat zu tun hat und tun kann, um die Ordnung des Geldwesens nicht zu zerstören, ist die Unterlassung solcher Eingriffe. Das ist der Kern der Geldtheorie der klassischen Nationalökonomie und ihrer unmittelbaren Nachfolger, der Currency-Theoretiker 1). Man konnte diese Lehre durch die moderne subjektivistische Theorie vertiefen und ausgestalten, doch man konnte sie nicht umstoßen und nichts anderes an ihre Stelle setzen. Die sie vergessen konnten, zeigen nur, daß sie nicht nationalökonomisch denken können. Wenn in einem Lande das Sachgeld durch Kredit- oder durch Zeichengeld ersetzt wurde, weil die durch das Gesetz verfügte Gleichsetzung des in Übermaß ausgegebenen Papiers und des Metallgeldes den Mechanismus, den das Greshamsche Gesetz beschreibt, ausgelöst hat, soll, wird vielfach behauptet, die Zahlungsbilanz die Valutenkurse bestimmen. Auch das ist durchaus unzutreffend. Die Valutenkurse sind durch die Kaufkraft, die der Einheit einer jeden Geldart zukommt, gegeben; der Kurs muß sich, wie schon gesagt wurde, in der Höhe festsetzen, daß es keinen Unterschied ausmacht, ob man mit einem Geldstück unmittelbar Waren kauft oder ob man dafür erst ein Geldstück einer anderen Valuta erwirbt und dann mit diesem einkauft. Wollte sich der Kurs von dem Stande, den das Verhältnis der Kaufkraft bedingt und den wir den natürlichen oder statischen Kurs nennen, entfernen, dann ergäbe sich die Möglichkeit, gewinnbringende Geschäfte durchzuführen. Es würde lukrativ werden, mit jedem Gelde, das im Kurse gegenüber dem Verhältnis, das sich aus seiner Kaufkraft ergibt, unterwertet erscheint, Waren einzukaufen und sie gegen jenes Geld, das im Kurse seiner Kaufkraft gegenüber überwertet ist, zu verkaufen. Und weil sich solche Gewinnstmöglichkeiten bieten, würden auf dem Valutenmarkte Käufer auftreten, die für das im Kurse unterwertete Geld eine Nachfrage entfalten, die den Kurs so lange in die Höhe treibt, bis er seinen statischen Stand erreicht hat 2). Die Valutenkurse steigen, weil die Geldmenge vermehrt wurde und die Warenpreise gestiegen sind. Es ist, wie schon ausgeführt wurde, nur der Technik des Marktes zuzuschreiben, daß dieses ursächliche Verhältnis nicht auch in der zeitlichen Aufeinanderfolge der Ereignisse zum Ausdruck gelangt. Die Gestaltung (23) der Valutenkurse auf der Börse nimmt eben unter dem Einfluß der Spekulation die erwarteten Veränderungen der Warenpreise vorweg. Die Zahlungsbilanztheorie übersieht, daß der Umfang des Außenhandels ganz und gar von den Preisen abhängt, daß weder ein- noch ausgeführt werden kann, wenn keine Preisunterschiede bestehen, die den Handel gewinnbringend machen. Sie haftet an der Oberfläche der Erscheinungen. Wer nur das beachtet, was täglich und stündlich an der  Börse  vorgeht,  kann,  das soll nicht bezweifelt werden, nichts anderes sehen, als daß der jeweilige Stand der Zahlungsbilanz für Angebot und Nachfrage auf dem Valutenmarkt maßgebend ist. Doch mit dieser Feststellung ist die Untersuchung der Bestimmungsgründe der Valutenkurse erst eingeleitet; sie muß sich nun fragen, was den jeweiligen Stand der Zahlungsbilanz bestimmt. Und da kann sie zu keinem anderen Ergebnis kommen als zu dem, daß die Preisgestaltung und die durch die Preisdifferenzen ausgelösten Käufe und Verkäufe erst die Zahlungsbilanz ausmachen. Die ausländischen Waren können bei steigenden Valutenkursen nur eingeführt werden, wenn sie trotz ihres hohen Preises Käufer finden. Eine Spielart der Zahlungsbilanztheorie will zwischen der Einfuhr lebenswichtiger und der entbehrlicher Artikel unterscheiden. Lebenswichtige Artikel müßten um jeden Preis bezogen werden, weil man sie schlechterdings nicht entbehren könne. Daher müsse sich die Valuta eines Landes, das auf die Einfuhr lebenswichtiger Waren aus dem Ausland angewiesen sei, selbst aber nur minderwichtige Waren auszuführen vermöge, fortgesetzt verschlechtern. Man vergißt dabei, daß die größere oder geringere Lebenswichtigkeit oder Entbehrlichkeit der einzelnen Güter bereits in der Intensität und in dem Umfange der nach ihnen auf den Märkten entwickelten Nachfrage und somit in der Höhe der für sie bewilligten Geldpreise restlos zum Ausdruck gelangt. Wenn die Österreicher noch so starkes Verlangen nach ausländischem Brot, Fleisch, Kohle oder Zucker haben, so können sie es nur beziehen, wenn sie dafür bezahlen können. Wenn sie mehr einführen wollen, müssen sie mehr ausführen; wenn sie nicht Fabrikate und Halbfabrikate ausführen können, müssen sie Aktien, Schuldverschreibungen und Besitztitel verschiedener Art ausführen. Wenn man den Notenumlauf nicht vermehren würde, dann müßten die Preise dieser zum Verkauf ausgebotenen Objekte sinken, wenn die Nachfrage nach den Importgütern und damit ihre Preise steigen sollen. Oder aber es müßte der Aufwärtsbewegung der Preise der lebenswichtigen Artikel (24) ein Niedergang der Preise der entbehrlicheren Artikel, deren Ankauf zugunsten des Ankaufs jener eingeschränkt wird, gegenüberstehen. Von einer allgemeinen Preissteigerung könnte dann nicht die Rede sein. Und die Zahlungsbilanz würde, entweder durch Effektenausfuhr u. dgl. oder durch Mehrausfuhr von entbehrlichen Gütern, ins Gleichgewicht kommen. Nur weil diese Voraussetzung nicht zutrifft, nur weil die Menge der umlaufenden Noten vermehrt wird, können trotz des Steigens der Devisenkurse die ausländischen Waren noch immer eingeführt werden; nur weil diese Voraussetzung nicht zutrifft, drosselt das Steigen der Devisenkurse nicht ganz die Einfuhr und fördert es nicht die Ausfuhr, bis die Zahlungsbilanz wieder aktiv wird 3).

Es bedarf wohl auch keines Beweises, daß die Spekulation an der Verschlechterung der Devisenkurse keine Schuld trägt. Der Devisenspekulant sucht die voraussichtlichen Bewegungen der Kurse vorwegzunehmen. Er kann dabei auch fehl gehen; dann muß er den Fehler, den er gemacht hat, auch büßen. Niemals aber können die Spekulanten auf die Dauer einen Kurs festhalten, der den Verhältnissen des Marktes nicht entspricht. Das wissen die Regierungen und die Politiker, die der Spekulation die Schuld an der Währungsverschlechterung zuschreiben, recht wohl. Wären sie anderer Meinung über die künftige Entwicklung der Valuta, dann könnten sie für Rechnung des Staates der Haussespekulation als Kontermineure entgegentreten und mit einem Schlage nicht nur die Devisenkurse ermäßigen, sondern auch noch für die Staatskasse einen schönen Gewinn erzielen.

Die alten merkantilistischen Irrtümer malen ein Gespenst an die Wand, vor dem wir uns nicht fürchten sollten. Kein Volk, auch nicht das ärmste, muß auf geordnete Währungsverhältnisse verzichten. Nicht die Armut des einzelnen und der Gesamtheit, nicht die Verschuldung an das Ausland, nicht die Ungunst der Produktionsbedingungen treibt die Valutenkurse in die Höhe, sondern die Inflation.

Darum sind auch alle Mittel, die zur Bekämpfung der Devisenhausse angewendet werden, wirkungslos. Wenn die Inflation fortgeht, bleiben sie ohne Erfolg; wenn es keine Inflation gibt, sind sie überflüssig. Das wichtigste dieser Mittel ist das Verbot oder die Einschränkung  der  Einfuhr bestimmter Güter, die man für entbehrlich (25) oder doch für weniger unentbehrlich hält. Die Beträge inländischen Geldes, die für den Ankauf dieser Waren aufgewendet worden wären, werden nun für andere Käufe verwendet werden; es werden dabei natürlich keine anderen Güter in Betracht kommen als solche, die sonst ins Ausland verkauft worden wären. Die werden nun zu höheren Preisen, als jene sind, die das Ausland dafür bietet, von Inländern gekauft. Es steht somit dem Rückgange der Einfuhr und damit der Nachfrage nach Devisen auf der anderen Seite ein gleich großer Rückgang der Ausfuhr und damit des Angebotes an Devisen gegenüber. Die Einfuhr wird eben durch die Einfuhr bezahlt, und nicht durch Geld, wie neomerkantilistischer Dilettantismus noch immer glaubt. Will man die Nachfrage nach Devisen wirklich eindämmen, dann muß man den Betrag, um den man die Einfuhr vermindern will, den Inländern — etwa durch Steuern — wirklich fortnehmen und gänzlich aus dem Verkehr ziehen, ihn also auch nicht für Staatszwecke ausgeben, vielmehr vernichten. Das heißt, man muß Deflationspolitik treiben. Statt die Einfuhr von Schokolade, Wein und Zigaretten einzuschränken, muß man den Leuten jene Beträge abnehmen, die sie für diese Waren bezahlen würden. Dann müssen sie entweder den Verbrauch dieser oder den irgendwelcher anderer Waren einschränken. In jenem Falle werden weniger Devisen gesucht, in diesem mehr Devisen angeboten werden als früher.

Das Verbot des Valutenhamsterns ist ebenso wenig imstande, den Devisenmarkt zu beeinflussen. Wenn die Bevölkerung Mißtrauen in die Wertbeständigkeit der Noten hegt, dann sucht sie einen Teil ihres Kassenbestandes in fremdem Gelde anzulegen. Macht man ihr dies unmöglich, dann werden die Leute entweder weniger Waren und Aktien verkaufen oder mehr Waren und Aktien u. dgl. kaufen; sie werden aber gewiß nicht mehr Noten statt der Valuten thesaurieren. In jedem Falle wird durch dieses Verhalten die Ausfuhrsumme verringert. Die Nachfrage nach Devisen für Thesaurierungszwecke verschwindet; doch gleichzeitig sinkt auch das Angebot an Devisen, die als Gegenwert der Ausfuhr ins Land kommen. Nur nebenbei sei bemerkt, daß die Erschwerung des Valutenthesaurierens die Ansammlung eines Reservefonds verzögert, der dem Verkehr über die kritische Zeit, die unmittelbar auf den Zusammenbruch der Währung folgt, hinweghelfen könnte. Es könnte sein, daß diese Politik einst noch schwere Nachteile auslösen
wird.
 
(26) Ganz unverständlich ist es, wie man auf den Gedanken kommen konnte, daß die Erschwerung der Ausfuhr der eigenen Noten geeignet sei, den Kurs der Devisen zu ermäßigen. Wenn weniger Noten aus dem Lande gehen, dann müssen mehr Waren ausgeführt oder weniger eingeführt werden. Der Kurs der Noten auf den ausländischen Börsen ist nicht von der größeren oder geringeren im Ausland befindlichen Menge abhängig, sondern von den Warenpreisen. Daß die ausländischen Spekulanten die Noten aufkaufen und ansammeln, mithin Haussespekulation treiben, ist nur geeignet, ihren Kurs zu erhöhen. Wären diese von den fremden Spekulanten zurückgehaltenen Beträge im Inlande verblieben, dann hätten sie die Warenpreise und damit den statischen Valutenkurs noch mehr in die Höhe getrieben.

Devisenverordnungen und Devisenzentralen können die Verschlechterung der Valuta nicht aufhalten, wenn die Inflation fortgeht.

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1) Vgl. meine  „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel“, München und Leipzig 1912, S 203 ff.
2) Vgl. meine Abhandlung „Zahlungsbilanz und Valutenkurse“,
Mitteilungen des Verbandes österr. Banken und Bankiers, II., 1919, S.
39 ff.

3) Aus der großen Literatur will ich hier nur nennen: Gregory, Foreign Exchange before, during and after the War, London 1921.