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1910-1919

Die allgemeine Teuerung im Lichte der theoretischen Nationalökonomie (1913)
Die Reform der österreichischen Versicherungsgebühren (1912)
Rezension: Der österreichische Staatsbankerott von 1811 von Dr. Paul Stiassny (1912)
Rezension: Geldwert in der Geschichte von Andreas Walther (1912)
Rezension: Erfordernisse des Geldes von Dr. Otto Heyn (1912)

Die allgemeine Teuerung im Lichte der theoretischen Nationalökonomie (1913)

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Quelle: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 37 (1913) 557-577

Die allgemeine Teuerung im Lichte der theoretischen Nationalökonomie.

[S.557] Dem Problem der Teuerung, das nun seit Jahr und Tag wieder einmal die Geister beschäftigt, ist mit der üblichen statistisch-empirischen Behandlungsweise nicht beizukommen.

Das Sammeln und Vergleichen von Preisangaben ist nicht imstande, die Gedankenarbeit der theoretischen Nationalökonomie zu ersetzen; zur Klarheit, zur Erkenntnis der Zusammenhänge kann es nicht führen. Die vielbändigen Veröffentlichungen der statistischen Ämter mit ihren ziffernreichen Tabellen haben die Probleme keinen Schritt der Lösung näher gebracht. Was wir über Ursprung, Wesen. und Bedeutung der Preisveränderungen wissen, stammt nicht aus der Verarbeitung statistischer Materialien. Diese sind hier überhaupt nur insoweit wertvoll, als sie mit den Ergebnissen der nationalökonomischen Gedankenarbeit nutzbar gemacht werden. Wer durch das Dunkel der Ziffernkolonnen einen Weg sucht, findet ihn nur dort, wo die theoretische Nationalökonomie voranleuchtet.

Wo die Arbeit des Zusammentragens von Ziffern aufhört, hat die Statistik ihr Werk beendet. Die Schlüsse, die aus dem gesammelten Material gezogen werden, sind von nationalökonomischen Gedankengängen geleitet. Sie gewinnen dadurch, daß sie mit einem statistischen Apparat in äußerliche Verbindung gebracht werden, nichts an Beweiskraft. Denn sie ergeben sich durchaus nicht mit zwingender Logik aus der Betrachtung des Materials. Es ist angesichts der Fülle der gleichzeitig nebeneinander und gegeneinander wirkenden Kräfte, deren Bedeutung der Beobachter für die Zwecke seiner Untersuchung künstlich aufspüren muß, durchaus nicht bewiesen, ob nicht auch entgegengesetzte Schlüsse ebensogut oder ebensoschlecht auf dasselbe Material anwendbar wären. Unmöglich können wir der Preisstatistik – von einzelnen nebensächlichen und kleineren Detailfragen abgesehen – eine andere Bedeutung zuerkennen als die, die gesicherten Ergebnisse der Preistheorie zu illustrieren. Sehen wir genauer zu, so können wir unschwer feststellen, daß jeder Schriftsteller, der sich nicht auf die Sammlung von Ziffern beschränkt, sondern auch [S.558] den Versuch kausaler Betrachtung unternimmt, von bestimmten preistheoretischen Anschauungen ausgeht, die seinen Gedanken den Weg weisen. Die Teuerungsliteratur steht ganz im Banne der preistheoretischen Anschauungen, die den einzelnen Schriften zugrunde liegen.

Mit diesen ist es nun nicht immer am besten bestellt. Recht häufig – soweit wir von deutschen Schriften reden, müßte man leider richtiger sagen: nahezu immer – treten uns hier Gedankengänge entgegen, die durch die Entwicklung der Wissenschaft schon lange überholt wurden. Es ist noch das kleinste Übel, wenn die Lehre von Angebot und Nachfrage und die Quantitätstheorie in dem Sinne angewendet oder bestritten werden, in dem es etwa vor 100 oder 200 Jahren hätte geschehen können. Aber auch die Kostentheorie wird in naivster Weise vorgetragen und nicht allzuselten begegnen wir selbst, mit ethischen und politischen Anmerkungen verbrämt, den beliebten Laientheorien, die Spekulation und Wucher für alle Übelstände im Wirtschaftsleben verantwortlich machen wollen. Die vierzigjährige Entwicklung der subjektiven Wertlehre hat hier kaum Spuren hinterlassen.

Neben diesen inneren Schwierigkeiten stellen sich der wissenschaftlichen Behandlung des Teuerungsproblems nicht minder große äußere entgegen. Die Teuerung ist eine politische Frage von größter Bedeutung geworden. Jede Partei ist auf ein bestimmtes Theorem über die Ursachen der Teuerung eingeschworen und hat ein besonderes Rezept zu ihrer Bekämpfung. Wer die Probleme zu ergründen sucht, läuft Gefahr, es sich mit allen Parteien zugleich zu verderben. Es müßte schon als ein günstiger Fall betrachtet werden, wenn die »Praktiker« seine Ausführungen als die eines »welt- und wirklichkeitsfremden Theoretikers« mit Stillschweigen übergehen wollten oder wenn die gegen sie gerichteten Angriffe sich innerhalb der Grenzen des Anstandes hielten. Wer die populären Dogmen über die Ursachen und die Bekämpfung der Teuerung anzutasten wagt, muß in der Regel auf weit Ärgeres gefaßt sein.

Allgemeine Teuerung und besondere Teuerung.


Wenn von allgemeiner Teuerung oder von Teuerung schlechtweg gesprochen wird, so meint man Sinken der Kaufkraft (des objektiven Tauschwertes) des Geldes. Verändert sich in einer Volkswirtschaft, in der der Gebrauch eines allgemeinen Tauschmittels unbekannt ist, das Austauschverhältnis, das zwischen einem wirtschaftlichen Gute und den übrigen wirtschaftlichen Gütern besteht, dann spricht man von Verteuerung oder Verbilligung einer Ware in bezug auf die anderen. Von Teuerung oder Verbilligung kann in diesem Falle nicht ohne näheren Zusatz gesprochen werden. Sehen wir von der Tatsache des Geldgebrauches ab, so ergibt sich klar, daß ein Gut nicht teurer werden kann, ohne daß alle anderen Güter billiger werden.

Das Problem, das uns beschäftigt, ist ausschließlich das der allgemeinen Teuerung oder des allgemeinen Steigens der Geldpreise der [S.559] Waren. Damit soll durchaus nicht behauptet werden, daß dies das einzige Teuerungsproblem der Gegenwart ist. Neben den Verschiebungen, die das zwischen dem Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehende Austauschverhältnis von seiten des Geldes her erfährt, treten auch Verschiebungen in den zwischen den verschiedenen wirtschaftlichen Gütern untereinander bestehenden Austauschverhältnissen auf. In dem allgemeinen Steigen des Niveaus der Warenpreise erkennt man, daß die Steigerung nicht alle Güter gleichmäßig erfaßt, daß die Geldpreise einzelner Waren stärker gestiegen sind als die der anderen, die mancher Waren dagegen gesunken sind. Diese Erscheinung ist keineswegs nur auf den Umstand zurückzuführen, daß die Geldwertveränderungen stets auch Verschiebungen in der Besitz- und Einkommensverteilung nach sich ziehen und mithin zu Konsumverschiebungen führen, die Angebot und Nachfrage und dadurch die Preise der Gebrauchsgüter beeinflussen. Es sind vielmehr selbständige Kausalreihen, die zu diesen Erscheinungen führen, und in der Mehrzahl der Fälle sind sie auch unschwer aufzudecken. Wenn von Fleischteuerung, von Milchteuerung, von Wohnungsteuerung gesprochen wird, so pflegt über die Ursachen nur selten eine Unklarheit zu bestehen. Selbst den Bemühungen der Interessenten vermag es nicht zu gelingen, die Öffentlichkeit auf die Dauer darüber irre zu führen.

Es leuchtet daher ohne weiteres ein, daß das Problem der allgemeinen Teuerung (des allgemeinen Steigens der Warenpreise) und das der besonderen Teuerung (des Steigens der Preise einzelner Güter oder Dienstleistungen) streng zu trennen sind. Der Nichtbeachtung dieser Unterschiede ist manche Unklarheit in der publizistischen Erörterung zuzuschreiben.

Die Verteuerung oder Verbilligung einzelner Warenpreise kann international auftreten; sie muß es aber nicht notwendigerweise. Es kann auch vorkommen, daß sie örtlich beschränkt bleibt. Steigt z. B. in Österreich der Branntweinpreis, weil die Branntweinsteuer erhöht wird, oder der Fleischpreis, weil die Einfuhr von Vieh und Fleisch verboten wird, so hat dies auf die Preisgestaltung von Branntwein und Fleisch im Auslande keinen direkten Einfluß. Die Preise im Auslande werden von dieser Maßregel unmittelbar nicht berührt; findet ein mittelbarer Einfluß statt, dann wirkt er in entgegengesetzter Richtung. Es können z. B. die Fleischpreise in Rumänien sinken, weil der Export nach Österreich unterbunden und damit die österreichische Nachfrage ausgeschaltet wurde.

Soweit die Teuerung eine allgemeine ist, trägt sie stets internationalen Charakter. Das ergibt sich eben aus dem Umstande, daß das Geld der Gegenwart, das Gold, als solches international ist. Das Gold ist heute Weltgeld, nicht nationales Geld bestimmter Gebiete; seine Verbilligung muß mithin ebenfalls stets international auftreten.

Geldmenge und Geldwert


Das zwischen dem Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehende Austauschverhältnis muß Veränderungen erfahren, wenn [S.560] das Verhältnis, das in den Einzelwirtschaften zwischen Geldnachfrage und Geldangebot besteht, sich verschiebt. Caeteris paribus muß daher die Kaufkraft der Geldeinheit sinken, wenn die Geldmenge vermehrt wird, und umgekehrt die Kaufkraft der Geldeinheit steigen, wenn die Geldmenge abnimmt. Das ist, in wenigen Worten, jene Lehre, die die Quantitätstheorie, das älteste gesicherte Ergebnis geldwerttheoretischer Untersuchungen, bietet.[FN1]

Der Geldbedarf der Einzelwirtschaften wird nicht nur durch Geld befriedigt. Auch die Geldsurrogate, das sind jederzeit fällige, sichere Geldforderungen, deren Liquidität und Sicherheit allgemein anerkannt ist (z. B. Banknoten, Kassenführungsguthaben, Scheidemünzen u. dgl.), erfüllen den gleichen Dienst. Die Geldsurrogate können entweder durch Geld »gedeckt« sein oder nicht; soweit für sie eine Gelddeckung besteht, nennen wir sie Geldzertifikate, soweit eine solche Deckung fehlt, Umlaufsmittel.[FN2] Es leuchtet ein, daß eine Vermehrung oder Verminderung der Umlaufsmittel dieselben Folgen für die Wertgestaltung der Geldeinheit nach sich ziehen muß, die die Vermehrung oder Verminderung der Geldmenge auslöst. Wenn der Geldvorrat (im weiteren Sinne, so daß darin auch der Vorrat an Umlaufsmitteln inbegriffen ist), vermehrt wird, während der Geldbedarf (im weiteren Sinne, so daß darin auch der Bedarf an Umlaufsmitteln inbegriffen ist) unverändert bleibt, muß mithin der innere objektive Tauschwert des Geldes sinken. Dieses Sinken ist jedoch keineswegs umgekehrt proportional der Vermehrung des Vorrats; es tritt auch nicht gleichzeitig in der ganzen Volkswirtschaft und gleichmäßig allen Waren gegenüber auf. Das alles näher zu begründen und auszuführen, ist hier nicht notwendig. Ich habe es an anderer Stelle versucht.

Die Bestrebungen, die Ergebnisse der Quantitätstheorie für die statistische Untersuchung der Ursachen und des Umfanges der Bewegungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes zu verwerten, müssen stets ergebnislos bleiben. Von den beiden Faktoren, deren gegenseitiges Verhältnis diese Bewegungen bestimmt, ist nur der eine, der Geldvorrat, erfaßbar. Der andere, der Geldbedarf, ist eine von subjektiven Momenten abhängige Größe, die im besten Falle annäherungsweise geschätzt werden kann. Aber selbst wenn es gelingen könnte, die Veränderungen von Geldvorrat und Geldbedarf ziffernmäßig festzustellen, würde uns das noch lange nicht befähigen, ziffernmäßige Schlüsse zu ziehen. Einmal sind die Bewegungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes, wie schon erwähnt, nicht umgekehrt proportional jenen, die im Verhältnis von Geldvorrat und Geldbedarf vor sich gehen. Dann aber fehlt uns die Möglichkeit, die Bewegungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes, exakt zu messen. Alle Systeme des index number, auch die geistreichsten und vollendetsten, dürfen keinen Anspruch auf Exaktheit erheben.[FN3]

[S.561] Die geldwertstatistischen Untersuchungen pflegen all dies in der Regel zu übersehen. Sie nehmen stillschweigend an, daß die Veränderungen der Geldmenge (im engeren Sinne, so daß darin die Umlaufsmittel nicht inbegriffen sind) indirekt proportionale Veränderungen der Kaufkraft der Geldeinheit – und zwar allen Waren gegenüber und gleichzeitig in der ganzen Volkswirtschaft – auslösen. Sie erblicken in den Indexzahlen einen genauen Maßstab der Schwankungen der Kaufkraft, ein Vorgehen, das auch dann nicht milder zu beurteilen ist, wenn man nach verschiedenen Grundsätzen aufgebaute Indexziffern mehrerer Systeme kombiniert. Bei solchem Vorgehen wird die angeblich wissenschaftliche Arbeit zu bedeutungsloser Spielerei mit Ziffern und Worten.

Alle diese Irrtümer schädigen das Ansehen der nationalökonomischen Wissenschaft, da man im großen Publikum stets geneigt ist, für die Fehler der Sammler und Bearbeiter von Daten zur Wirtschaftskunde die theoretische Nationalökonomie verantwortlich zu machen. Zu Mißgriffen der Wirtschaftspolitik vermögen sie im allgemeinen nicht zu führen. Nur in einer Richtung ergeben sich aus der mangelhaften theoretischen Erkenntnis der Schule bedenkliche Folgen für die politische Anwendung. Man pflegt zu übersehen, daß die Umlaufsmittel für die Gestaltung des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes die gleiche Bedeutung haben wie das Geld, daß eine Vermehrung der Umlaufsmittelmenge caeteris paribus geradeso zu einem Sinken der Kaufkraft der Geldeinheit führen muss, wie eine Vermehrung der Geldmenge. Da man nun wieder andererseits – in völliger Verkennung all dessen, was die theoretische Nationalökonomie seit fünf Menschenaltern geleistet hat – meint, den Zinsfuß durch vermehrte Ausgabe von Umlaufsmitteln ermäßigen zu können, ergeben sich ganz merkwürdige Konsequenzen. Da wird auf der einen Seite der Kampf gegen die Teuerung, freilich mit mehr Ostentation denn mit ernstlichem Willen, ins Werk gesetzt, während auf der anderen Seite durch Erweiterung des ungedeckten Notenumlaufes und ähnliche Maßnahmen sowie durch das Bestreben, den Scheckverkehr künstlich auszudehnen, die Umlaufsmittelzirkulation erweitert und damit eine Tendenz zum Sinken der Kaufkraft des Geldes geschaffen wird.[FN4]

In jüngster Zeit hat sich eine Stimme geltend gemacht, die dem, was in den obenstehenden Zeilen über den Einfluß der Veränderungen im Verhältnis zwischen Geldbedarf und Geldvorrat auf die Kaufkraft des Geldes gesagt wurde, entgegentritt. Spann meint, die Theorie, welche die Teuerung aus der durch die erhöhte Goldproduktion bewirkten Geldentwertung zu erklären suche, erscheine zwar relativ geschlossen, weil sie alle Haupterscheinungen der Teuerung aus einem einzigen Prinzip zu erklären unternehme. Dennoch werde »jeder, der einen guten Instinkt für induktive Analyse wirtschaftlicher Zusammenhänge hat, gegen eine Theorie mißtrauisch sein, {S.562] welche Teuerungen und schließlich die ganze Preisgeschichte mit ihren großen auf- und absteigenden Preiskurven nicht aus dem inneren Gang der Wirtschaft heraus, sondern aus dem Ueberfluß oder Mangel an Tauschmittel erklären will« Das alte physiokratische Bestreben, die volkswirtschaftlichen Vorgänge grundsätzlich unter Ausschaltung des Geldes verständlich zu machen, sollte wieder mehr als bisher zu Ehren kommen. Besonders Preisvorgängen gegenüber sei dieses Verfahren geboten, um das von seiten der Umlaufsmittel her Bedingte gegenüber dem den primären wirtschaftlichen Bestrebungen selbst Innewohnenden reinlich scheiden zu können.[FN5]

Der einen der von Spann gestellten Forderungen entspricht unsere Auffassung vollkommen. Sie erklärt die Teuerung nicht aus einem Prinzipe, sondern – wie der nächste Abschnitt zeigen wird – aus zwei verschiedenen Prinzipien, die sich in ihrer Wirkung vereinigen. Im übrigen aber müssen Spanns Ausführungen als irrig zurückgewiesen werden.

Es ist seit alters her in der Nationalökonomie üblich, die Probleme der Preisbildung (Warenpreise, Lohn, Grundrente, Kapitalzins usf.) zunächst unter der Annahme zu besprechen, als ob direkter Tausch stattfinden würde. Das haben nicht nur die Physiokraten getan, wie Spann meint, sondern alle Theoretiker der Nationalökonomie; ein Blick auf die Schriften der Klassiker oder der Modernen kann jedermann leicht davon überzeugen. Die Erkenntnisse, die auf diesem Wege und nur auf diesem Wege gewonnen werden, bedürfen dann noch einer Ergänzung durch die Untersuchung der Modifikationen, die durch den Gebrauch des Geldes und der Umlaufsmittel herbeigeführt werden. Neben die Theorie des direkten Tausches muß die Theorie des indirekten Tausches – die Lehre vom Gelde und von den Umlaufsmitteln (Geld- und Banktheorie) – treten. Wenn man der theoretischen Nationalökonomie der letzten Jahrzehnte einen Vorwurf machen kann, so ist es gewiß nicht der, daß sie die Notwendigkeit dieser Trennung nicht beachtet oder daß sie die Beschäftigung mit den Problemen des direkten Tausches vernachlässigt hätte. Im Gegenteil. Sie hat ihre Aufmerksamkeit so sehr durch die Probleme des direkten Tausches, die ja logisch vorangehen müssen, in Anspruch nehmen lassen, daß die des indirekten Tausches dabei eher zu kurz gekommen sind. Darunter hat z. B. auch die Behandlung des Krisenproblems, dessen volles Verständnis nur die Theorie des indirekten Tausches erschließen kann, schwer gelitten.

Zu den volkswirtschaftlichen Vorgängen, die unter Ausschaltung des Geldes betrachtet werden können und sollen, darf man jedoch das Problem der allgemeinen Teuerung nicht rechnen. Allgemeine Teuerung bedeutet Veränderung des zwischen dem Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehenden Austauschverhältnisses. In einer Wirtschaftsorganisation, die keinen Geldgebrauch kennt, [S.563] ist allgemeine Teuerung nicht möglich. Wie soll man da das Geld aus der Betrachtung des Teuerungsproblems ausschalten? Spann freilich unternimmt diesen, von vornherein aussichtslosen Versuch. Wenn er das »höhere Preisniveau« zunächst auf Grundlage des Naturaltausches zu erklären vermeint, so liegt darin ein Verkennen des Wesens dessen, was der Sprachgebrauch des täglichen Lebens der Kürze und Bequemlichkeit, halber »Preis« nennt, was aber vollständiger »Geldpreis« und richtig »Austauschverhältnis in bezug auf das Geld« zu nennen wäre. Wenn heute folgende Austauschverhältnisse gelten: 5 Kilo A = 7 Kilo B = 9 Kilo C = 16 Kronen und morgen 5 Kilo A = 7 Kilo B = 9 Kilo C = 18 Kronen, so kann die über Nacht eingetretene Veränderung doch wohl niemals aus Ursachen, die in den Beziehungen zwischen A, B und C untereinander liegen, erklärt werden.

Geldentwertung als Folge gewisser Eigentümlichkeiten des indirekten Tausches.


[S.563] Der innere objektive Tauschwert des Geldes erfährt nicht nur dann eine Verschiebung, wenn das Verhältnis zwischen Geldbedarf und Geldvorrat sich verändert hat. Es gibt noch eine zweite Ursache seiner Bewegungen, die in gewissen Eigentümlichkeiten des indirekten Tausches zu suchen ist. Darin liegt ein grundsätzlicher Unterschied zwischen der Bildung des zwischen dem Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehenden Austauschverhältnisses und der Bildung der zwischen den übrigen wirtschaftlichen Gütern untereinander bestehenden Austauschverhältnisse.

Im direkten (unvermittelten) Tauschverkehr kann ein Tausch nur dann zustande kommen, wenn jeder der beiden Teile die Gütermenge, die er hingeben soll, niedriger bewertet als jene, die er als Entgelt für die Hingabe in Empfang nehmen soll. Trifft diese Voraussetzung nicht zu, dann wird es zu keinem Tausch kommen können.

Das gilt für den indirekten, durch Geld vermittelten Tausch nur mit einer wichtigen Modifikation. Der Kauflustige kann sich hier unter Umständen dazu entschließen, den geforderten Preis auch dann zu zahlen, wenn er seine Schätzung übersteigt, dann nämlich, wenn er hoffen darf, daß es ihm gelingen werde, für diejenigen Waren und Dienstleistungen, die er zu Markte bringt, gerade deshalb höhere Geldpreise zu erzielen, weil er für die Waren und Dienstleistungen seines Bedarfes höhere Geldpreise gezahlt hat. Der höhere Geldpreis muß eben noch nicht durchaus auch einen höheren Sachpreis bedeuten; es kann ganz gut geschehen, daß die wechselseitigen Austauschverhältnisse der Güter (mit Ausschluß des Geldes) untereinander unverändert bleiben und daß nur eine Verschiebung in dem zwischen dem, Gelde und den übrigen wirtschaftlichen Gütern bestehenden Austauschverhältnis eintritt.

Wenn die Arbeiter höheren Lohn fordern und die Unternehmer dieser Forderung nachgeben, so muß dies durchaus noch nicht eine Steigerung des Reallohns bedeuten. Es kann sein, daß es den Unter- [S.564] nehmern gelingt, die Lohnerhöhung auf die Konsumenten zu überwälzen, so daß auch die Warenpreise steigen und der Reallohn konstant bleibt oder doch nicht in dem gleichen Maße steigt, wie der Geldlohn. Wenn die Erzeuger einer bestimmten Ware eine Preiserhöhung durchsetzen, so muß dies durchaus noch nicht auch eine Steigerung des Sachpreises bedeuten; auch hier kann die Preiserhöhung unter Umständen nur nominell bleiben.

Das kann mitunter auch schon in den einfachen Verhältnissen der Kundenproduktion, wo Erzeuger und Verbraucher in unmittelbaren Verkehr treten, vorkommen. Eine Notwendigkeit ist es hier aber keineswegs; die Marktbeziehungen sind noch klarer und übersichtlicher und der Ausgleich zwischen Konsumtion und Produktion kommt leicht zustande. Anders liegt die Sache auf den Entwicklungsstufen der Volkswirtschaft oder gar der Weltwirtschaft. Die Lage des Marktes kann hier nicht mehr so leicht überblickt werden wie früher, als er noch kleiner war. Der Produzent tritt nicht mehr unmittelbar mit dem Konsumenten in Verkehr. Das Produkt wird »vom Markte aufgenommen«, was durchaus noch nicht bedeutet, daß es auch von den Konsumenten jene Bewertung erfährt, die dem Kalkül des Produzenten zugrunde lag. Produzenten und Händler stehen einer unbekannten Größe gegenüber; sie können mit mehr oder weniger Geschick das künftige Verhalten der Konsumenten abschätzen, sie vermögen aber natürlich nur wenig mit Bestimmtheit darüber auszusagen. Die Größe und Unübersichtlichkeit des modernen Marktes stellt aber an die Verkäufer gerade die höchsten Anforderungen. Ein Verhandeln mit den einzelnen Konsumenten ist bei der Mehrzahl der gebrauchsfertigen Güter ausgeschlossen. Die Produzenten und. Händler sind genötigt, »feste« Preise vorzuschreiben, die der Konsument entweder annimmt oder durch Zurückhaltung im Einkauf ablehnt, wenn er ihnen nicht dadurch ausweicht, daß er sie zwar auf der einen Seite als Geldpreise zahlt, sie aber auf der anderen Seite durch Umgestaltung der Kaufkraft des Geldes ummodelt.

Damit aus dem Mechanismus des durch Geld vermittelten Tausches heraus in der angedeuteten Weise eine die ganze Volkswirtschaft umfassende Tendenz zur Verringerung des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes entspringe, müssen Umwälzungen der Produktions- und Konsumtionsverhältnisse in größerem Umfange vor sich gehen. In einem statischen oder vorwiegend statischen Zustand der Volkswirtschaft erfahren die wechselseitigen Austauschverhältnisse der wirtschaftlichen Güter (mit Ausschluß des Geldes) untereinander keine oder nur geringfügige Aenderungen. Unter solchen Verhältnissen fehlt Unternehmern und Arbeitern auch jede Anregung, Preisaufschläge zu versuchen. Anders in Zeiten starker Umwälzung der Produktions- und Konsumtionsverhältnisse, wenn die wechselseitigen Austauschverhältnisse große Veränderungen erfahren. Da müssen – tappend und tastend – alle Verkäufer (worunter auch die Verkäufer der Arbeitskraft zu verstehen sind) neue Preise für die Güter und Dienstleistungen, die sie zu Markte bringen, zu erzielen suchen. Sie setzen [S.565] Preise fest, die ihrer Ansicht nach mit den erzielbaren Preisen zusammenfallen, wobei sie leicht zu hoch greifen können. Haben sie nämlich zu tief gegriffen, d. h. einen zu niedrigen Preis verlangt, so müssen sie ihren Fehler bald gewahr werden, wenn die Nachfrage über das Angebot hinauswächst. Im entgegengesetzten Falle ist der Irrtum nicht so schnell zu erkennen. Werden von den Verkäufern zu hohe Preise verlangt, dann müßte, lehrt das Preisgesetz, die Nachfrage vom Angebot überflügelt werden; die Zurückhaltung der Käufer müsse schließlich die Verkäufer zu einer Herabsetzung der Preisforderung zwingen. Hier aber setzt die Wirkung der besonderen Eigentümlichkeit des indirekten Tausches ein. Der Kauflustige hält mit dem Ankaufe der Ware nicht zurück, wenn auch der geforderte Preis seine Schätzung um ein Geringes übersteigt, weil er auch seinerseits auf größere Geldeingänge aus dem Erlös der Waren und Dienstleistungen, die er zu Markte bringt, hofft. Er hat seine Preisforderung erhöht und sieht, daß sie von den Käufern bewilligt wird; aus dem gleichen Grunde, aus, dem jene höhere Preise zahlen, zahlt auch er sie. Alle erwarten, daß den höheren Geldausgaben auch höhere Geldeinnahmen gegenübertreten werden; sie rechnen mit einem Sinken der Kaufkraft des Geldes, das ihr Verhalten tatsächlich auch herbeiführt.

Aus technischen Eigentümlichkeiten der Marktorganisation des durch Geld vermittelten Tausches heraus führen große Umwälzungen der wechselseitigen Austauschverhältnisse der wirtschaftlichen Güter untereinander zu einer Tendenz sinkender Kaufkraft der Geldeinheit.

Die sozialen Wirkungen der allgemeinen Teuerung.


[S.565] Ehe wir das eben Gesagte an einem wichtigen Beispiele erörtern, erscheint es zweckmäßig, einige Worte über die soziale Bedeutung der allgemeinen Teuerung einzuschalten.

Würden die Veränderungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes sich gleichzeitig und gleichmäßig in der ganzen Weltwirtschaft vollziehen, würden die Preise aller Waren und Dienstleistungen gleichzeitig und gleichmäßig steigen oder fallen, dann würden sich ihre sozialen Wirkungen auf die Umgestaltung des Inhaltes der obligatorischen Verträge, die in Geld zu erfüllen sind, beschränken. Alle deferred payments werden ihre Bedeutung verändern, wenn das Geld, der standard of deferred payments, im Werte steigt oder sinkt. Wenn die Kaufkraft des Geldes sinkt, gewinnen die Schuldner, verlieren die Gläubiger. Vorausgesetzt ist dabei, daß sie beim Abschluß des Vertrages die zukünftigen Bewegungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes nicht nach Richtung und Maß vorausgeahnt und mitkalkuliert haben, eine Voraussetzung, die immer zutrifft, da aus verschiedenen Gründen das Voraussehen des Maßes der Bewegungen der Kaufkraft des Geldes unmöglich ist.

Würden sich die Veränderungen der Kaufkraft des Geldes tatsächlich in dieser Weise gleichzeitig und gleichmäßig in der ganzen Sozialwirtschaft durchsetzen, dann würden die Klagen über Teuerung [S.566] lange nicht so laut ertönen wie heute und schwerlich die Regierungen zum Ergreifen teuerungspolitischer Maßnahmen veranlassen. Die Gläubiger, überhaupt alle jene, die aus obligatorischen Verträgen bestimmte Geldsummen zu fordern haben, würden wohl geschädigt werden und es ist recht wahrscheinlich, daß sie die Nachteile, die ihnen daraus erwachsen, keineswegs ruhig hinnehmen würden. Zweifellos würden sie sich bemühen, eine ihnen günstigere Bewegung der Preise herbeizuführen. Es ist aber kaum anzunehmen, daß ihnen dies gelingen könnte. Ihre Klagen würden in den breiten Massen der Bevölkerung kaum einen Widerhall finden. Die Zahl derjenigen, deren Einkommen sich ausschließlich oder vorwiegend aus dem Ertrage verliehener Geldkapitalien zusammensetzt, ist in den meisten Ländern viel zu gering, als daß ihre Wünsche und Interessen den Gang der Wirtschaftspolitik entscheidend beeinflussen könnten.

Daß die Geldentwertung von der großen Menge als Nachteil empfunden wird, ist nicht darauf zurückzuführen, daß sie die Gläubigerinteressen schädigt, sondern auf den Umstand, daß sie in der Volkswirtschaft nur schrittweise in Erscheinung tritt. Die verschiedenen Warenpreise steigen nicht gleichzeitig in gleichem Maße. Die Teuerung tritt irgendwo in der Volkswirtschaft und irgendwelchen Waren gegenüber zuerst auf und pflanzt sich schrittweise weiter. Fassen wir zunächst den Fall der Geldentwertung durch Vermehrung der Geld- oder der Umlaufsmittelmenge bei gleichbleibendem oder nicht in gleichem Maße steigendem Geldbedarf (im weiteren Sinne) ins Auge. Es sei z. B. eine neue Goldmine erschlossen worden. Das neue Gold fließt zunächst den Goldproduzenten zu; es mehrt ihr Einkommen, vermindert ihre subjektive Schätzung der Geldeinheit und macht sie damit »tauschfähiger«, »kaufkräftiger«. Sie bringen nun auf dem Markte ihre Nachfrage nach den Gegenständen ihres Bedarfes stärker zum Ausdrucke als bisher; sie können mehr Geld für die Waren bieten, welche sie zu erwerben wünschen. Diese Waren sind es, welche zuerst im Preise steigen; ihnen gegenüber sinkt der objektive Tauschwert der Geldeinheit zuerst. Hier ist der Punkt, wo die Geldentwertung ihren Ausgang nimmt. Der weitere Verlauf ist nun der, daß auch diejenigen, die jene Güter zu Markte gebracht haben, nach denen sich der Begehr der ersten Besitzer des neuen Geldes richtet, kaufkräftiger geworden sind und nun ihrerseits wieder in der Lage sind, nach den Gütern ihres Bedarfes eine stärkere Nachfrage zu entfalten, so daß auch diese Güter im Preise steigen. So setzt sich die Preissteigerung, sich dabei verflachend, so lange fort, bis alle Waren, die einen in stärkerem, die anderen in schwächerem Ausmaße, von ihr erfaßt sind.[FN6] Dieses schrittweise Fortschreiten der Teuerung bedingt ihre sozialen Begleiterscheinungen. Diejenigen sozialen Gruppen, denen der neue Geldstrom zuerst zufließt, werden durch den Prozeß begünstigt, diejenigen, denen er später zufließt, geschädigt. Solange [S.567] nämlich die Geldentwertung sich noch nicht in der ganzen Volkswirtschaft durchgesetzt hat, sind diejenigen, welche bereits das höhere Einkommen, das der kommenden Geldwertverringerung entspricht, beziehen, in der Lage, für alle Güter ihres Bedarfes oder für einen Teil Preise zu bezahlen, welche der Geldwertverringerung überhaupt noch nicht oder noch nicht ganz Rechnung tragen; andererseits müssen diejenigen, deren Geldeinkommen noch nicht den neuen Verhältnissen entspricht, schon für einen Teil der Güter ihres Bedarfes Preise bezahlen, die dem höheren Preisniveau angepaßt sind.

Ganz das gleiche gilt natürlich auch von jenen Geldwertveränderungen, welche sich aus dem früher beschriebenen Steigern der Preise durch die Verkäufer ergeben. Auch hier nimmt ja die Preissteigerung ihren Ausgangspunkt von einer Stelle und pflanzt sich erst von hier schrittweise fort. Diejenigen Verkäufergruppen, welche mit der Preissteigerung vorausgegangen sind, sind daher auch dann im Vorteil, wenn die Preissteigerung der Produkte, die sie zum Verkaufe bringen, im Laufe des Prozesses durch die Preissteigerung der Artikel ihres Bedarfes vollkommen ausgeglichen wird. Denn während der Dauer des Prozesses, durch den sich die Geldentwertung in der ganzen Volkswirtschaft durchsetzt, haben sie Vorteile genossen, die ihnen die spätere Anpassung aller Preise an den neuen Standard nicht mehr nehmen kann. Gerade in dem Umstande, daß es sich so verhält, liegt ja auch die Ursache, welche die mit der Preiserhöhung vorangehenden Gruppen zu ihrem Vorgehen veranlaßt. Das gilt von der Politik der Kartelle und Trusts – soweit sie nicht Monopolistenpolitik ist – und auch von dem Vorgehen der Arbeiterverbände.

Dieses letzte soll nun noch näher erläutert werden.

Lohnsteigerung und Teuerung.


[S.567] Daß zwischen den Bewegungen der Geldlöhne und den Bewegungen der Geldpreise der Sachgüter Wechselwirkungen bestehen, dürfte wohl kaum ernstlich geleugnet werden. Für eine an den Gedankengängen der modernen theoretischen Nationalökonomie orientierte Betrachtungsweise scheidet von vornherein die beliebte, der Wertlehre der älteren Theorie entlehnte Formel aus, die die Verteuerung der Warenpreise aus der Verteuerung des Produktionsfaktors Arbeit zu erklären vermeint. Daß jene Bewegungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes, die durch Veränderungen im Verhältnis zwischen Geldvorrat und Geldbedarf hervorgerufen werden, von den Preisen der Genußgüter aus die Geldpreise der Produktionsfaktoren und mithin auch den des Produktionsfaktors Arbeit beeinflussen, ist wieder so selbstverständlich, daß jede weitere Diskussion darüber überflüssig wäre. Man erkennt also unschwer, daß schon die übliche Art der Problemstellung der wissenschaftlichen Kritik gegenüber nicht standhalten kann. Will man zu brauchbaren Ergebnissen gelangen, dann muß man einen anderen Gedankengang wählen.

Allen nationalökonomischen Lohntheorien ist das eine gemeinsam, daß sie die Bestimmung der Lohnhöhe als Wertproblem auf- [S.568] fassen. Die verschiedenen Lösungen, die das Wertproblem im Laufe der Zeit gefunden hat, haben auch zu verschiedenen Versuchen, das Lohnproblem zu lösen, geführt. Die objektiven Werttheorien mußten wohl andere Wege einschlagen als die moderne Werttheorie. Erst diese hat die Bedeutung des Problems voll gewürdigt. Die Zurechnungstheorie, die Böhm-Bawerk, Clark und Wieser begründet haben, zeigt, wie die einzelnen komplementären Produktionsfaktoren bewertet werden; sie bildet somit das unentbehrliche logische Zwischenglied zu jeder Theorie der Preisbildung der Produktionsfaktoren und somit auch zu jeder Theorie der Verteilung der Produkte.

Die Lohnhöhe kann als Markterscheinung durch Eingriffe, die nicht mit den Mitteln des Marktes arbeiten, nicht beeinflußt werden. Will man Lohnpolitik treiben, d. h. will man die Lohnhöhe von jenem Stande entfernen, den sie auf dem unbeeinflußten Markte einzunehmen trachtet, und den wir als den natürlichen Lohn bezeichnen können, dann muß man eben jene Faktoren zu verändern suchen, deren Zusammenwirken auf dem Markte die konkrete Höhe des Lohnes bestimmt. So kann man z. B. den Lohn drücken, wenn man die Einwanderung fremder Arbeiter erleichtert, ihn in die Höhe treiben, wenn man den Zuzug von Arbeitern hemmt. Macht man von solchen Mitteln Gebrauch, dann beeinflußt man die Marktpreisbildung der Arbeit nur indirekt; der Lohn, der sich nun unter dem Einfluß der veränderten Bedingungen auf dem Markte bildet, ist bei der neuen Lage der Dinge natürlicher Lohn.

Eine unmittelbare Beeinflussung ist beim Lohne ebenso unmöglich wie bei den anderen Preisen des Marktes. Sie müßte notwendigerweise zu einer Reaktion führen, die das natürliche Verhältnis wieder herstellt. Das gilt sowohl von behördlichen Lohntaxen wie von der Lohnpolitik der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft. Das hat schon die ältere Schule gewußt, mag sie es auch mit unhaltbaren Theorien begründet haben.

Was die Organisation der Arbeiter im übrigen für das Wirtschaftsleben, für die Politik, für Recht und Sitte, für das Volkstum bedeuten mag, bleibt hier außer Betracht. Wir haben nur die eine Frage vor uns: kann sie das natürliche Lohnniveau erhöhen oder nicht? Diese Frage ist zunächst für alle jene Fälle zu bejahen, in denen es den Gewerkvereinen gelingt, die Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkte zu beeinflussen. Von der Beeinflussung der Nachfrageseite kann dabei in der Regel nicht die Rede sein. Öfter gelingt es den Vereinen, das Angebot ihrem Wunsche gemäß zu beeinflussen. Ist diese Beeinflussung auf einzelne Kategorien beschränkt, dann kann es sich immer nur um Vorteile handeln, die die Arbeiter eines Produktionszweiges auf Kosten aller anderen Arbeiter erringen. Dem künstlich verminderten Angebote in einem oder mehreren Zweigen steht das erhöhte Angebot in allen übrigen Zweigen gegenüber; steigen dort die Löhne, dann müssen sie hier sinken. Damit sind die Folgen derartiger Monopole der Arbeiterschaft einzelne Branchen keineswegs erschöpft; sie wirken noch darüber hinaus. Sie stören das optimale Kombinationsverhältnis [S.569] der Produktionsfaktoren und verringern damit das Gesamtprodukt im Werte. Diese zweite Wirkung tritt deutlich, weil isoliert, bei einer sich auf alle Zweige der Produktion erstreckenden Einschränkung des Angebotes an Arbeit ein. Da sind zwei Fälle denkbar: Verringerung des Nachwuchses an Arbeitern durch Reduktion der Volkszahl (Einschränkung der Fruchtbarkeit) oder Verringerung des Angebotes an Arbeit bei unverändertem Angebot von Arbeitern entweder durch Kürzung der Arbeitszeit über das optimale Kombinationsverhältnis, sei es im gesetzlichen Wege (Maximalarbeitstag) sei es durch gewerkschaftliche Selbsthilfe der Arbeiterschaft oder durch Verschlechterung der Arbeitsintensität (passive Resistenz, »Ca canny«-Politik).

Werden aber die Faktoren der Lohnbildung ungeändert belassen, dann kann eine dauernde Abdrängung des Lohnniveaus von seinem natürlichen Stande nicht erzielt werden. Das trifft in der Regel bei nahezu allen gewerkschaftlichen Vereinigungen der Arbeiter zu. Die Gewerkvereine können keine allgemeine und dauernde Erhöhung des Lohnniveaus erreichen, weil sie die Bedingungen des großen Arbeitsmarktes nicht ändern, auch nicht ändern können.

Die Geschichte der letzten Jahrzehnte widerspricht dem scheinbar. Wir sehen die organisierten Arbeiter von Erfolg zu Erfolg schreiten; die Löhne steigen immer höher und höher. Zweifellos ist ein Teil dieser Lohnsteigerung nur eine Folge des durch die Vermehrung des Geldangebotes (Goldgewinnung, Vermehrung der Umlaufsmittelzirkulation) bewirkten Sinkens des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes. Ein anderer Teil wieder ist auf die Steigerung des Ertrages der menschlichen Produktionstätigkeit zurückzuführen; ein Teil des erhöhten Produktionsertrages fällt den Arbeitern, ihrer Mitwirkung am Produktionsprozesse entsprechend, zu. Das hätten die Arbeiter auch ohne Koalitionen und Lohnkämpfe erreichen müssen. Ist das aber alles, was die Gewerkschaften erreicht haben?

Sehr viele sind der Meinung, daß die Arbeiter mit vereinten Kräften weit mehr erzielt haben als das, was ihnen sowieso in den Schoß gefallen wäre. In allen sozialpolitischen Schriften kann man heute lesen, daß die Gewerkvereine das Lohnniveau erhöht haben; in dieser Tatsache will man einen induktiven Beweis gegen die Schlüssigkeit aller jener Theorien erblicken, welche die Unmöglichkeit solcher Lohnsteigerung dartun. Das wird als so selbstverständlich hingestellt, daß man sich gar nicht erst die Mühe nimmt, eine Lohntheorie zu konstruieren, mit der derartiges vereinbar wäre. Man ist überhaupt in Verlegenheit, wenn man sich die Frage vorlegt, welches denn die Lohntheorie der sozialpolitisch-historischen Richtung der deutschen Nationalökonomie sei. Einer ihrer hervorragendsten Vertreter sagt uns zwar, daß sie den unübersehbaren Schwierigkeiten gegenüber auf eine Lohntheorie im Sinne einer allgemeingültigen Erklärung verzichtet habe.[FN7] Aber irgend etwas müssen doch wohl diese Schriftsteller vor [S.570] Augen gehabt haben, wenn sie von Lohn und Lohnpolitik gesprochen haben. Wir glauben nicht fehl zu gehen, wenn wir annehmen, daß ihnen eine naive Ausbeutungstheorie vorgeschwebt hat. Die ist heute die populäre Lohntheorie. Sie kann auf eine berühmte literarische Vergangenheit zurückblicken, auf die marxistische Mehrwerttheorie, das Resultat ehrlichen, wenn auch fruchtlosen Strebens eines genialen Geistes. Doch Marx hat die Ausbeutungstheorie nicht geschaffen. Er hat sie nur auf der Straße aufgelesen und wissenschaftlich zu formulieren und zu begründen gesucht, ein Unternehmen, das bei dem damaligen Stande der politischen Ökonomie keineswegs aussichtslos schien. Lange vor ihm aber war sie bereits volkstümlich geworden. Daß Marx sie aufgenommen und daß die sozialdemokratische Agitation sie mit Fanatismus in die Welt hinausgetragen hat, mag die Anziehungskraft, die ihr innewohnt, verhundertfacht haben. Ihre Stärke und ihre Beliebtheit wurzeln jedoch nicht in der marxistischen Wertlehre; so konnte sie auch deren Sturz ohne Schaden zu nehmen überdauern.

»Das Kapital« haben viele gelesen, nur wenige verstanden. Auch unter den Häuptern der Sozialdemokratie dürfte man nur ein kleines Häuflein Kenner der marxistischen Wertlehre finden. Die werttheoretische Grundanschauung der Sozialdemokratie bildet heute eine naive Ausbeutungstheorie, die jener des Chartismus näher verwandt ist als dem werttheoretischen Objektivismus des dialektischen Systemes von Karl Marx. Diese volkstümliche Ausbeutungstheorie, die man, um einen marxistischen Ausdruck zu variieren, auch Vulgärsozialismus [FN8] nennen könnte, ist freilich niemals in einer wissenschaftlich gehaltvollen, ausgereiften und geschlossenen Form vorgetragen. Nichtsdestoweniger muß man sie heute, zumindest in Deutschland, als die communis opinio bezeichnen. Denn außerhalb des engen Kreises der Freunde der theoretischen Nationalökonomie herrscht sie nahezu unbestritten. Auf ihr beruht das, was heute allenthalben, in Lehrbüchern und auf dem Katheder, in den Parlamenten und in der Presse, in der Kirche und in der Volksversammlung über das Wesen des Lohnes gelehrt wird. Sie beeinflußt die Gesetzgebung, sie bildet die Richtschnur für die Politik der Gewerkvereine. Selbst die Unternehmer haben sich ihrem Einfluß nicht ganz zu entziehen vermocht.[FN9]

Der volkstümlichen Ausbeutungstheorie erscheint die Gesellschaft in zwei, einander feindlich gegenüberstehende Klassen gespalten: Auf der einen Seite stehen die Arbeiter, deren Fleiß alle Werte erschafft, und denen von Rechts wegen der volle Arbeitsertrag zufließen sollte. Auf der anderen Seite stehen alle diejenigen, die arbeitsloses Einkommen beziehen; sie leben eben von dem, was die den Arbeitern vorent- [S.571] halten. Die Lohnbestimmung ist das Ergebnis eines Kampfes zwischen Unternehmern und Arbeitern; je mehr Erfolg die Arbeiter in diesem Kampfe haben, desto höher steigt ihr Lohn und damit ihr Anteil am Nationalprodukt. Der gewerkschaftliche Zusammenschluß stärkt die Kräfte der Arbeiter und erleichtert ihnen so die Erreichung von Erfolgen.

Sieht man von dieser naiven Ausbeutungstheorie, deren Unhaltbarkeit wohl nicht erst näher beleuchtet werden muß, ab, dann findet man in der sozialpolitischen Literatur nicht viel, das als Stütze der Lehre von der lohnsteigernden Wirkung der Arbeiterverbände auch nur mit einem Scheine von Berechtigung verwertet werden könnte. Daß nichtsdestoweniger alle jene Schriftsteller, die von keiner geschlossenen nationalökonomischen Wert- und Preistheorie ausgehen, kein Bedenken tragen, aus der unleugbaren Tatsache, daß die Geldlöhne in den letzten Jahrzehnten gestiegen sind, den Koalitionen die Kraft zuzuschreiben, den Reallohn zu erhöhen, ist nicht weiter auffällig.

Auf der einen Seite bietet uns also die wissenschaftliche Lohntheorie keinen Anhaltspunkt, der auf eine lohnsteigernde Wirkung der gewerkschaftlichen Organisation der Arbeitnehmer schließen ließe; auf der anderen Seite finden wir die unbestrittene Tatsache, daß die Organisation der Arbeiter den Anteil der Arbeiterschaft am gesellschaftlichen Verteilungsprozeß auf Kosten der anderen Klassen der Bevölkerung vermehrt. Oder können wir annehmen, daß alle jene Millionen Arbeiter, die ihr Heil in der Organisation erblicken, daß alle jene Tausende von Unternehmern, die sie bekämpfen, sich in der Beurteilung der Wirkungen der Arbeiterorganisation täuschen?

Der scheinbar unlösliche Widerspruch, der hier klafft, ist mit Hilfe unserer früher entwickelten Theorie unschwer zu lösen. Es ist richtig, daß es keiner Bemühung der Gewerkvereine gelingen kann, den Arbeitslohn dauernd über das Niveau des natürlichen Lohnes hinauf zu heben. Alles, was sie im besten Falle erreichen können, ist das, daß die Lohnhöhe vorübergehend über das natürliche Niveau steigt; die schließliche Anpassung der wirklichen Lohnhöhe an die natürliche Lohnhöhe vermögen sie nicht zu verhindern. Diese Anpassung vollzieht sich aber nicht in der Weise, daß der Nominallohn auf den alten Stand zurückgebracht wird; der Geldlohn bleibt unverändert, die Steigerung der Warenpreise bewirkt, daß seine reale Bedeutung eine andere wird, bis er schließlich wieder jenem Reallohn entspricht, der unter den gegebenen Verhältnissen der natürliche ist. Denn die Arbeitgeber können die Lohnerhöhung, die den Lohn über das natürliche Niveau hinaufhebt, nur in der Erwartung zugestehen, daß es ihnen gelingen werde, den natürlichen Unternehmergewinn dadurch zu erhalten, daß sie die Lohnerhöhung auf die Preise der Produkte weiterwälzen. Was aber die Konsumenten veranlassen kann, die erhöhten Preise zu bezahlen, ergibt sich aus dem früher Gesagten.

Der Erfolg der gewerkschaftlichen Organisation liegt also in den Vorteilen, die den Arbeitern während der Uebergangszeit, während [S.572] welcher sich der erhöhte Geldlohn durch die Steigerung der Warenpreise dem Niveau des natürlichen Arbeitslohnes anpaßt, zukommen. Ist diese Anpassung vollendet, dann ist auch der Erfolg, den die Arbeiterklasse durch die Geldlohnerhöhung erzielt hat, endgültig vorbei. Die Gewerkschaften vermögen die Vorteile, die sie den Arbeitern bieten, nur dadurch zu dauernden zu gestalten, daß sie immer wieder von neuem versuchen, den Geldlohn über das natürliche Niveau zu heben. Damit aber schaffen sie immer wieder von neuem eine Tendenz zur Senkung des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes.

In einer statischen Volkswirtschaft wäre für eine derartige Wirkung der Gewerkvereine kein Raum. Dort müßte das Lohngesetz in voller Strenge herrschen. Nur in einem dynamischen Zustand der Volkswirtschaft kommt das, was eben ausgeführt wurde, zur Geltung. Dynamisch können die Gewerkvereine auch sonst manches leisten, z. B. durch Verminderung der Zahl der Arbeitslosen [FN10] in den Uebergangsperioden.

Rohstoffmangel als Teuerungsursache.


[S.572] Als besondere Ursache der allgemeinen Teuerung pflegt man vielfach das Steigen der Produktionskosten anzuführen. Mit den Lehren der subjektiven Werttheorie kann diese Anschauung nicht vereinbart werden. Die moderne Schule weist ja nach, daß die Preise der Güter höherer Ordnung von denen der Güter erster Ordnung abhängig sind. Diese Erklärung muß also von vornherein zurückgewiesen werden. Sie löst übrigens das Problem nicht, sie verschiebt es nur. An die Stelle der Frage nach der Ursache der Preissteigerung der Konsumgüter setzt sie die Frage nach der Ursache der Preissteigerung der Produktivgüter.

In einer gewissen Verwandtschaft mit dieser Auffassung steht der Gedanke, daß das Angebot von Gütern geringer geworden sei und daß von hier aus eine Tendenz zur Steigerung der Warenpreise einsetzen müsse. Die Versorgung der Wirtschaft mit Gebrauchsgütern führt in letzter Linie stets auf die in der Natur vorhandenen Güter höherer Ordnung zurück. Alle menschliche Produktionstätigkeit erschöpft sich darin, die ursprünglichen Naturkräfte derart zu kombinieren, daß eine bestimmte gewünschte Stoffgestalt naturgesetzlich erfolgen muß. Die in der Natur vorhandenen Stoffe und Kräfte bilden den einzigen Fonds, der uns zur Verfügung steht. Die Fortschritte der Produktionstechnik ermöglichen es uns allerdings, diese Menge durch Heranziehung immer höherer Güterordnungen, durch Einschlagen immer längerer und technisch ergiebigerer Produktionsumwege zu erweitern. Indessen aber bleibt noch immer die Annahme zulässig, daß der technische Fortschritt hinter der Verzehrung des vorhandenen Gütervorrats zurückbleibt. Von Zeit zu Zeit hören wir von Geologen und Ingenieuren die Befürchtung aussprechen, daß wir uns immer schneller dem Zeitpunkte nähern, in dem die Erschöpfung der Mineralschätze [S.573] des Erdbodens schwere Not über uns oder unsere Nachkommen bringen wird. Wie weit diese Behauptungen gerechtfertigt sind, kann die Nationalökonomie nicht beurteilen. Aber wir wollen annehmen, daß sie vollkommen den Tatsachen entsprechen. Da ergibt sich, daß eine allgemeine Steigerung der Geldpreise der Waren daraus nur dann eintreten könnte, wenn das Geld allein unter allen wirtschaftlichen Gütern jener Tendenz nicht unterliegen würde. Während sich bei allen anderen wirtschaftlichen Gütern das Verhältnis zwischen Vorrat und Bedarf zuungunsten des Vorrats verschieben würde, müßte es beim Gelde anders sein. Denn würde auch beim Gelde die gleiche Verschiebung eintreten, dann würde zwar die Versorgung der Einzelwirtschaften mit Geld verschlechtert werden, eine Verschiebung des Austauschverhältnisses zwischen dem Gelde und den anderen Sachgütern jedoch nicht platzgreifen können. Tritt eine Veränderung des zwischen dem Gelde und den übrigen Tauschgütern bestehenden Austauschverhältnisses aus der geschilderten Tatsache ein, dann ist sie aber jenen beizuzählen, deren Bedeutung die Quantitätstheorie darlegt; das Verhältnis zwischen Geldangebot und Geldnachfrage hat sich in anderem Sinne verschoben, als das zwischen Warenangebot und Warennachfrage oder es ist unverändert geblieben, während jenes sich verschoben hat. Wir hätten also keine neue Erkenntnis für die Theorie und keine neue Anweisung für die Politik erhalten.[FN11]

Recht gut denkbar ist es hingegen, die fortschreitende Erschöpfung der den Menschen zur Verfügung stehenden Naturschätze zur Erklärung der besonderen Teuerung bestimmter Warengattungen heranzuziehen. Das Steigen der Pelzpreise oder der Kaviarpreise sind hierfür zwar nicht die wichtigsten, wohl aber die einleuchtendsten Beispiele.

Die Erkenntnis der Ursachen der Teuerung und die Teuerungspolitik.


[S.573] Die öffentliche Meinung erblickt in der Teuerung eines der beunruhigendsten Symptome des Wirtschaftslebens. Der Kampf gegen die Teuerung wird von den Regierungen und von den politischen Parteien heute mit derselben Entschiedenheit proklamiert wie in der Zeit zwischen 1873 und etwa 1895 der Kampf gegen das Sinken der Warenpreise.

Wer gegen ein Uebel ankämpfen will, muß es zuerst erkennen. Man kann die Teuerung nicht beseitigen, solange man ihre Ursachen und ihr Wesen nicht versteht.

Das, wogegen sich die Angriffe der Menge der Konsumenten in erster Linie richten, ist die besondere Teuerung einzelner Artikel, vor allem der Lebensmittel. Die Schutzzollpolitik, die alle Staaten mit Ausnahme Englands seit Jahren verfolgen, hat in jedem Lande bestimmte Warengruppen ganz besonders verteuert. Hier fällt der Kampf gegen die Teuerung mit dem gegen den Hochschutzzoll zusammen.

[S.574] Der allgemeinen Teuerung wird nur nebenbei gedacht. In der Regel wird auf sie nur von den durch den Schutzzoll begünstigten Produzenten hingewiesen, um die Aufmerksamkeit der Konsumenten von den handgreiflichen und leicht behebbaren Ursachen der besonderen Teuerung abzulenken. Man spricht vom »internationalen Charakter« der Teuerung, um die in der nationalen Politik liegenden Ursachen der Teuerung zu verschleiern, man verweist auf die »Allgemeinheit« der Teuerung, um über die Tatsache, daß neben der allgemeinen Teuerung auch eine besondere Teuerung einer Reihe von Waren festzustellen ist, hinwegzutäuschen. In all dem steckt nicht der redliche Wille, sich mit dem Problem der allgemeinen Teuerung auseinanderzusetzen, Klarheit über ihre Bedeutung und über die Stellung, die die Wirtschaftspolitik ihr gegenüber einzunehmen hätte, zu gewinnen. Das allgemeine Wehklagen über Teuerung, in das heute mehr oder weniger alles einstimmt, was in der Öffentlichkeit zu Worte kommt, läßt daher nicht einmal einen Schluß dahin zu, daß die allgemeine Geldentwertung unpopulär geworden ist. Denn die, welche dagegen auftreten, sind über die Sache durchaus nicht im klaren, und noch viel weniger ist dies bei den Millionen der Fall, die ihren Ausführungen zustimmen.

Es ist bekannt, daß der Inflationismus im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts in Europa und Amerika mehr Anhänger als Gegner gezählt hat. Daß es trotzdem nicht zur Verwirklichung der inflationistischen Projekte, vor allem des Planes der internationalen Doppelwährung, gekommen ist, ist nur dem Umstande zuzuschreiben, daß in den führenden Ländern die kleine, aber starke und von begabteren Führern geleitete Partei der sound money Leute über die der fiat money Leute siegte. Wer weiß, ob die Endentscheidung nicht schließlich gegen die Goldwährung gelautet hätte, wenn der Kampf noch einige Jahre länger gedauert hätte. Das Interesse der Freunde der Warenpreissteigerung wendete sich aber anderen Mitteln zu; sie wurden Schutzzöllner, weil sie im Schutzzoll ein geeigneteres Werkzeug zur Erreichung ihrer Zwecke zu erblicken begannen. Überdies hat das allgemeine Sinken des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes, das in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts einsetzte und noch immer anhält, den Bimetallismus überflüssig gemacht.

Wenn nun heute, da das Ziel, das sich die Wirtschaftspolitik der meisten Länder zwischen 1873 und 1895 gesetzt hat, erreicht wurde, eine heftige Reaktion sich geltend macht, so ist dies auf die großen sozialen Wandlungen zurückzuführen, die sich mittlerweile vollzogen haben. Die Produzenteninteressen, die noch bis vor kurzem in der Politik maßgebend waren, werden teilweise durch die Konsumenteninteressen zurückgedrängt. War früher das Schlagwort »gute Preise« populär, so wird es heute das Schlagwort »billige Preise«. Soviel scheint gewiß zu sein, daß die Anziehungskraft dieser Parole in den nächsten Jahren noch wachsen wird. Dennoch muß es als fraglich bezeichnet werden, ob sie sich dauernd erhalten wird, ob es ihr gelingen [S.575] wird, die alteingewurzelte Vorstellung, daß hohe Preise auch volkswirtschaftliche Prosperität bedeuten, zu entwurzeln.

Fassen wir nämlich die sozialen Folgen der Veränderungen – und zwar des Sinkens, das uns ja hier allein beschäftigt – des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes ins Auge, so finden wir, daß ihre Bedeutung verschieden ist je nach der treibenden Ursache. Das allgemeine Sinken der Kaufkraft des Geldes bringt immer Verschiebungen in der Vermögens- und Einkommensverteilung mit sich, gleichviel aus welcher Ursache es sich vollzieht. Aber in jedem Falle sind es andere Klassen der Gesellschaft, die daraus Vorteil ziehen, andere, die daraus benachteiligt werden. Wenn der innere objektive Tauschwert des Geldes sinkt, weil das Verhältnis zwischen Geldvorrat und Geldbedarf durch unverhältnismäßige Vermehrung der umlaufenden Geldmenge eine Verschiebung erfahren hat, dann sind diejenigen Schichten der Bevölkerung am stärksten im Vorteil, denen die zusätzliche Geldmenge zunächst, diejenigen am stärksten im Nachteil, denen sie zuletzt zuströmt. Da werden in der Regel, gleichviel, ob die Vermehrung der Geldmenge (im weiteren Sinne) durch Zunahme der Geldproduktion oder durch Erweiterung der Umlaufsmittelausgabe erfolgt ist, im großen und ganzen die Unternehmer den Arbeitern und Angestellten gegenüber im Vorteil sein. Es ist recht wohl begreiflich, daß unter solchen Umständen die Angestellten und die Arbeiter im allgemeinen leicht auf die Seite der Gegner der Geldwertverringerung hinübergezogen werden können.

Aber die Verschiebungen im Verhältnis zwischen Geldvorrat und Geldbedarf sind heute nicht die alleinige und vielleicht auch nicht die wichtigste Ursache der allgemeinen Teuerung. Es ist uns gelungen, den Nachweis dafür zu erbringen, daß aus gewissen technischen Eigentümlichkeiten der Marktorganisation des durch Geld vermittelten Tausches Kräfte wirksam werden, die zu einem beständigen Steigen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes führen müssen. Hier sind diejenigen im Vorteil, die es verstehen, mit den Preiserhöhungen der Waren und Dienstleistungen, die sie zum Verkaufe bringen, den anderen zuvorzukommen. Das sind nicht immer die Unternehmer. Neben die bestorganisierten Kartelle treten die bestorganisierten Arbeiterverbände. Die großen Kartelle der sogenannten schweren Industrie und die Gewerkschaften der leicht organisierbaren Angestellten- und Arbeiterschichten sind die Nutznießer der Teuerung, soweit sie in diesen Ursachen wurzelt. Im Nachteil aber sind die schwerer oder überhaupt nicht organisierbaren Klassen, die die Preise der Waren und Dienstleistungen, die sie zu Markte bringen, erst dann erhöhen können, wenn die Waren und Dienstleistungen ihres Bedarfes schon vorher im Preise gestiegen sind; die Schädigung, die sie in der Zwischenzeit immer wieder erfahren, kann bei solchem Nachhinken nicht mehr behoben werden.

Nur die Interessen der Gläubiger, überhaupt aller jener, die aus obligatorischen Verträgen Geldforderungen bestimmter Höhe zu stellen haben, werden in beiden Fällen in gleicher Weise zugunsten der Inter- [S.576] essen der Verpflichteten geschädigt. Sind aber, davon abgesehen, die sozialen Wirkungen der Teuerung verschieden je nach ihrer Ursache, dann kann auch ihre wirtschaftspolitische Beurteilung keine einheitliche sein. In dem ersten Falle ist der Kreis derjenigen, die von ihr Nutzen ziehen, ein verhältnismäßig enger; er umfaßt nicht auch die weiten Schichten der Lohnempfänger, deren Beschwerden und Wünsche heute für die Politik von ausschlaggebender Bedeutung sind. Diese Klassen müßten daher ein Geldwesen vorziehen, bei dem das Verhältnis zwischen Geldvorrat und Geldbedarf immer konstant bleibt, so daß von hier aus kein Anstoß zu Bewegungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes kommt. Da dieses Ideal unerreichbar ist, müßten vom Standpunkte der Lohnempfänger aus (und auch von dem der zahlreichen Unternehmer, die in diesem Punkte das gleiche Interesse haben, sowie selbstverständlich auch vom Gläubigerstandpunkte aus) zumindest alle jene Maßregeln verdammt werden, die darauf hinzielen, durch künstliche Erweiterung der Umlaufsmittelzirkulation den Zinsfuß zu ermäßigen. Denn wie bereits ausgeführt wurde, kann durch Neuausgabe von ungedeckten Noten und durch Ausdehnung des Scheckgebrauchs niemals ein Sinken des Kapitalzinses herbeigeführt werden; der schließliche Erfolg dieser Maßregeln kann vielmehr nur in einem Steigen der Warenpreise bestehen.

Ganz anders sind nun jene Veränderungen des inneren objektiven Tauschwertes des Geldes zu beurteilen, die aus jenen geschilderten technischen Eigentümlichkeiten der Preisbildung auf den Märkten des durch Geld vermittelten Tausches entspringen. Sie nützen nicht nur den bestorganisierten Unternehmerkreisen, sondern auch den bestorganisierten Arbeiterschichten, nämlich allen jenen, die mit der Verteuerung der Waren und Dienstleistungen, die sie zu Markte bringen, den Preiserhöhungen der Waren und Dienstleistungen, die sie auf dem Markte einkaufen müssen, zuvorkommen. Soweit die Teuerung in dieser Ursache ihre Wurzel hat, kann sie übrigens kaum bekämpft werden. Das einzige denkbare Mittel wären behördliche Preistaxen; die stünden aber mit dem Prinzipe der individualistischen Organisation der Volkswirtschaft in unlösbarem Widerspruch.

Daß der Kampf gegen die fortschreitende Verteuerung aller Waren und Dienstleistungen nur wenig Aussicht auf Erfolg bietet, daß man nur wenig Mittel in der Hand hat, den Prozeß ein wenig zu verlangsamen und im übrigen untätig zuwarten muß, ob nicht wieder einmal eine Periode eintritt, in der – wie zwischen 1873 und 1895 – ein Rückgang der Goldproduktion und ein stärkeres Vortreten der statischen Tendenzen gegenüber den dynamischen in der Volkswirtschaft die Geldpreise fallen läßt, mag vielen bedauerlich erscheinen. Es wäre aber eine starke Übertreibung, wollte man darin, wie dies mitunter geschieht, einen schweren Übelstand erblicken.

Eine ernstliche Gefahr für die Zukunft der individualistischen Organisation des Austauschapparates liegt, wie ich dies an anderer Stelle ausgeführt habe,[FN12] in der Entwicklung der Umlaufsmittel; [S.577] wird hier nicht durch die Gesetzgebung rechtzeitig ein Riegel vorgeschoben, dann kann es leicht zu einer grenzenlosen Inflation kommen, deren zerstörende Wirkung wohl nicht näher ausgemalt werden muß, Auch wenn man von dieser noch nicht unmittelbar drohenden Gefahr absieht, ist in dem Wesen der Umlaufsmittelzirkulation genug Bedenkliches enthalten. Daß es wünschenswert wäre, der künstlichen Erweiterung der Umlaufsmittelzirkulation ein Ende zu machen, wurde ja schon erwähnt; man würde damit nicht nur das Tempo der Geldentwertung verlangsamen, sondern auch das beste Mittel gegen Krisen finden. Aber sieht man von alledem ab, dann liegt kein Grund vor, in der fortschreitenden Teuerung ein beunruhigendes Symptom zu erblicken. Nur ganz Unkundige könnten etwa zur Vorstellung gelangen, sie sei ein Symptom der Verschlechterung unserer Güterversorgung, die zu einer fortschreitenden Verelendung der Massen führe. In Wirklichkeit sind die Nachteile, die sie den einen, die Vorteile, die sie den anderen bringt, nur vorübergehender Natur. Der Umstand, daß die Teuerung immer weiter fortschreitet, vermag sie zwar immer von neuem hervorzurufen, aber dann entstehen sie eben immer wieder von neuem, ohne daß ihre Wirkung in irgend einer Weise dadurch verstärkt wird, daß es auch schon früher Teuerung und Teuerungsfolgen gegeben hat.

Soweit die Teuerung in der Vermehrung der Goldproduktion ihre Ursache hat, muß man sie als ein kaum vermeidliches Übel hinnehmen. Dabei bleibt noch immer die Hoffnung, daß die aufsteigende Entwicklung der Goldproduktion wieder einmal eine Unterbrechung erfahren wird. Soweit die Teuerung eine Folge der auf den Märkten des indirekten Tausches notwendigen Preisbildungstechnik ist, muß man in ihr ein Zeichen lebhafter Bewegung aller wirtschaftlichen Kräfte, beständiger Umwälzung aller Produktions- und Konsumtionsverhältnisse erblicken. Nur wer die Ruhe des Friedhofs dem brausenden Wirbel des Lebens vorzieht, kann es bedauern, daß der rein statische Zustand der Volkswirtschaft nur ein gedankliches Hilfsmittel der Theorie ist, daß die Wirklichkeit stets Dynamik, Wandlung und Entwicklung bedeutet.

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[FN1] Vgl. meine Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel. München und. Leipzig 1912. S. 133-170.

[FN2] Ebendort S. 144.

[FN3] Ebendort S. 213 ff.

[FN4] Ebendort S. 462 ff.

[FN5] Vgl. Spann, Theorie der Preisverschiebung als Grundlage zur Erklärung der Teuerungen. Wien 1913. S. 3-5.

[FN6] Vgl. meine Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel a. a. O. S. 151 f. und die dort zitierten.

[FN7] So Bernhard, Art. Lohn und Löhnungsmethoden im Handwörterbuch der Staatswissenschaften, (III. Aufl.) VI. Bd. S. 513

[FN8] Diesen Ausdruck finde ich bei Vogelstein, Das Ertragsgesetz
der Industrie. (Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik. XXXIV.
Bd. S. 775).

[FN9] Vgl. Böhm – Bawerk, Einige strittige Fragen der Kapitalstheorie. Wien 1900. S. 110 ff.

[FN10] Im statischen Zustand gibt es keine Arbeitslosen.

[FN11] Vgl. Hobson, Gold, Prices and Wages. London 1913. S. 94 ff.

[FN12] Vgl. Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel a. a. O. S. 472 ff.