3.1.2. Umverteilung

I.
II.
III.

I.

[S.145] Wenn die Stabilität einer staatlichen Ordnung einerseits auf Gewalt beruht, so ist Gewalt aber doch nicht die ganze Antwort. Solange die Beziehungen zwischen Staat und Privatrechtspersonen ausschließlich gewalttätiger Natur sind, d. i. solange die Aktivitäten des Staates sich darin erschöpfen, in fremde Eigentumsrechte ungefragt einzugreifen, und das eigene Einkommen auf Kosten eines entsprechenden Einkommensverlustes bei anderen Personen zu steigern; und um dies Einkommen anschließend ausschließlich zu eigenen Konsumzwecken zu verwenden und aufzubrauchen; solange sind dem Wachstum des Staates jedenfalls enge Grenzen gesetzt. Denn geht man nicht von der unwahrscheinlichen Hypothese aus, daß, eine zunehmende Ausbeutung seitens des Staates bei den Ausgebeuteten weder erhöhten Widerstand noch verminderte Produktionsleistungen im Gefolge hat (und somit für den Staat kostenlos zu erreichen wäre!), so ist er bald an dem Punkt angelangt, wo ein ihm zur Verfügung stehendes Droh-, Schreck- und Angstpotential (repräsentiert durch Personen und Waffen gegebener Art) nicht mehr ausreicht, um eine weitere Einkommenssteigerung bewirken zu können.[FN69]

Er mag den Versuch machen, dies Potential technisch zu verbessern (statt mit dem Gewehr in der Hand, kann er mit der Atombombe drohen), aber wenn man, realistischerweise, davon ausgeht, daß ‚technisches know how’ nur schwer geheimzuhalten, und leicht zu kopieren ist (zumal wenn es angewendet wird), steigt mit dem technischen Wissen des Staates mutatis mutandis das der durch staatlichen Schrecken in Schach gehaltenen Opfer. Dieser Ausweg ist von daher als grundsätzlicher Ausweg verschlossen; und im übrigen wäre jede Realisierung technischer Verbesserungen ja auch mit zusätzlichen Kosten verbunden, die man, an der Wachstumsgrenze bereits angelangt, nicht ohne weiteres durch eine zusätzliche Ausbeutung der Privatrechtspersonen abdecken könnte. Begnügen sich Staaten bzw. ihre Repräsentanten nicht mit diesem Gleichgewicht des Schreckens, weil ihnen das in ihm erzielbare Einkommen (monetärer und/oder der nicht-monetärer Art) unzureichend erscheint, sondern wollen ihr im Austausch mit Privatrechtssubjekten [S.146] realisiertes Einkommen weiter steigern, so müssen sie ihr Verhalten ändern: neben Gewalt muß produktiver Austausch treten.

Die Rolle des Staates kann sich nicht mehr länger im Konsum gewalttätig angeeigneter Güter erschöpfen, sondern der Staat muß sich auch positiv als Güterproduzent betätigen: entweder dadurch, daß er als Einkommenstransferierer tätig wird, und die einem A gewaltsam entzogenen Güter, nach Abzug der Kosten für den nie ganz kostenlosen Transfer, auf B überträgt; oder dadurch, daß er mit Hilfe zwangsweise angeeigneter Produktionsfaktoren selbst zum Produzenten wird und im Rahmen dieser Tätigkeit für die von ihm Beschäftigten und die Abnehmer seiner Produkte eine positive Leistung erbringt. Damit verschafft sich der Staat außerhalb des Kreises der ihn unmittelbar repräsentierenden Personen Anerkennung und Unterstützung: Die Bezieher von Transfereinkommen, die vom Staat für Produktionszwecke Beschäftigten, wie auch die Abnehmer der staatlichen Produkte, werden einkommensmäßig mehr oder weniger stark von einer Fortführung einer gegebenen staatlichen Politik abhängig, und entsprechend sinkt ihre Bereitschaft, dem Staat Widerstand entgegenzusetzen.

Versteht es der Staat, die durch seine produktive Austauschpolitik vergebenen Vorteile ungleichmäßig auf die von ihm kontrollierten Privatrechtssubjekte zu verteilen; und behandelt er auch nicht alle Opfer gleichmäßig; so daß nicht jeder im gleichen Verhältnis Opfer/Profiteur einer gegebenen Politik ist, sondern der eine durch sie relativ günstiger dasteht als der andere; so wird es für den Staat möglich, ein über ein gegebenes Niveau hinausgehendes Einkommen (aus gewalttätigen Aneignungsakten) zu erzielen, sofern es ihm gelingt, den weiteren Ausbau in der Weise mit produktiven Austauschhandlungen zu verkoppeln, daß die durch sie erzeugte zunehmende Unterstützungsbereitschaft gegenüber dem Staat (die zentral von der Zahl zunehmend unterstützungsbereiter Personen abhängt) den komplementären Anstieg von Widerstand ausgleicht oder übertrifft. Politik ist die Kunst, aufbauend auf einem Gleichgewicht des Schreckens, das staatliche Einkommen durch publikumswirksame Umverteilungsmaßnahmen (i. w. S.) auf einem möglichst hohen Niveau zu stabilisieren.[FN70]

In der Tat haben alle Staaten, die über das Eroberungsstadium, in dem zwischen staatlichen Gewaltherren und eroberter Bevölkerung noch keinerlei Fraternisierung stattgefunden hat, hinausgelangt sind, die sich auch in der Konkurrenz mit anderen Staaten um bestimmte Bevölkerungen behaupten und zu imperialer Größe entwickeln konnten, dies nur aufgrund einer mit Versuchen staatlicher Einkommensverbesserung systematisch einhergehenden Umverteilungspolitik erreichen können. So wie empirische Personen sind, gelingt es einer Personengruppe gegebener Größe nur dann, zahlenmäßig überlegene Bevölkerungen dauerhaft und bei steigendem eigenen Einkommen zu beherrschen, wenn die Herrscher durch Schaffung eines Netzes ungleich verteilter Abhängigkeiten und Vorteile in der beherrschten Bevölkerung dauerhafte öffentliche Unterstützung für ihre Rolle mobilisieren können, [S.147] angesichts deren bei den Opfern aufkommende Widerstandsneigungen als aussichtslos aufgegeben werden.[FN71]