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Carl Menger (1840-1921)

Biographie
Verzeichnis der Schriften Carl Mengers
ZEIT-Artikel von Kurt R. Leube über Menger
Friedrich von Wieser: Biografie von Karl Menger (1923)

Friedrich von Wieser: Biografie von Karl Menger (1923)

In hohem Alter – drei Tage, nachdem er sein 81. Lebensjahr vollendet hatte – ist am 26. Feburar 1921 der Begründer der österreichischen Schule der Nationalökonomie, Karl Menger, gestorben.

Karl Menger entstammte einer österreichischen Beamten- und Offiziersfamilie. Der bekannte Abgeordnete Max Menger und der als Jurist wie als sozialwissenschaftlicher Schriftsteller gleich hervorragende Anton Menger waren seine Brüder. Der Vater war Advokat, erst in Neu-Sandez in Galizien, wo Karl Menger geboren ist, und später in Bielitz; er schrieb sich mit dem Familienprädikat, auf dessen Führung die Söhne verzichteten, Dr. Anton Menger Edler von Wolfesgrün. Die Mutter Karoline, geborene Gerzabek, war die Tochter eines vermögenden Kaufmannes, der aus Böhmen nach Galizien übersiedelt war und dort die Staatsdomäne Maniow angekauft hatte, auf welchem Gute die Kinder alljährlich ihre Ferien verbrachten. Die Studien führten Karl Menger wie seine Brüder über Prag nach Wien. In dieser Stadt konzentrierte sich sein ganzes weiteres Leben, dessen äußerer Verlauf in wenigen Worten zu erzählen ist. Er trat in den Staatsdienst ein und fand in diesem die Gelegenheit zu volkswirtschaftlichen Beobachtungen, deren Ergebnisse er in den „Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre“ 1871 veröffentlichte. Mit diesem Werke habilitierte er sich im Jahre 1872 an der Wiener Universität als Privatdozent für Politische Ökonomie. Schon im folgenden Jahre wurde er zum außerordentlichen Professor und bald darauf zum ordentlichen Professor dieses Faches ernannt. Seinem Lehrberufe widmete er sich mit größtem Eifer und Erfolg. Im Jahre 1883 veröffentlichte er sein zweites Hauptwerk „Untersuchungen über die Methode der Sozialwissenschaften und der Politischen Ökonomie insbesondere“. Auf die ablehnende Kritik Schmollers, des Führers der deutschen historischen Schule der Nationalökonomie, antwortete er mit der leidenschaftlichen Streitschrift „Die Irrtümer des Historismus“. Die Zahl seiner weiteren Veröffentlichungen ist nicht sehr groß, auch hat er sich verhältnismäßig frühzeitig vom Lehramt zurückgezogen; dennoch blieb er seinen Studien bis zu seinem Lebensende hingegeben, wie die reiche Menge von Schriften beweist, die sich in seinem Nachlasse vorfanden. Unter diesen verdient besondere Hervorhebung eine 2., erweiterte und teilweise umgearbeitete Auflage seiner „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, jenes Erstlingswerkes, mit dem er als junger Mann von 31 Jahren hervorgetreten war, das er ohne Lehrer, Vorbild, noch Genossen, in stiller Zurückgezogenheit geschaffen hatte und das ihm seinen Rang unter den führenden ökonomischen Denkern der Welt sichert. Es ist für Mengers wissenschaftliches Wesen bezeichnend, daß er bis zum Schlusse seine ganze Sorgfalt daran wendete, die theoretischen Grundlagen seiner Wissenschaft klar und fest herauszuarbeiten. Mochten andere das von ihm begonnene Werk weiterführen, ihm war es vor allem darum zu tun, in die letzten wissenschaftlich noch erreichbaren Tiefen einzudringen.

Für den Leser, der nicht Fachmann ist, hat es kein Interesse, zu erfahren, was Menger im einzelnen an wissenschaftlicher Arbeit geleistet hat, wohl aber sollte das gebildete Publikum darüber belehrt werden, was ihm seinen wissenschaftlichen Rang gibt. Was war es an ihm, das ihn befähigte, der Gründer einer neuen ökonomischen Schule zu werden? Wenn man die Antwort auf diese Frage ganz in seinem Sinne geben will, so muß man, so wie er es bei jedem Problem getan hat, bis zu den letzten, der Erkenntnis noch erreichbaren Elementen zurückgehen und man muß also die Elemente – oder sollte man nicht sagen, das Elementare ? – seiner Forschungsweise klarlegen, wodurch es ihm gegeben war, Schwierigkeiten zu bemeistern, die das volkswirtschaftliche Denken vor ihm gehemmt hatten. Eine für den Fachmann bestimmte Darstellung dürfte es in diesem Zusammenhange nicht versäumen, auf Mengers Methodenlehre zurückzugehen, eine für das gebildete Publikum bestimmte Darstellung darf sich jedoch kürzer fassen und darf den ganzen Methodenstreit beiseite lassen. Menger hat seine Methodenlehre geschrieben, weil die „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“, die er vorher geschrieben hatte, bei den historisch gestimmten Ökonomen Deutschlands keine Gnade fanden und weil er es daher für notwendig erachtete, ihren Erkenntniswert dadurch zu rechtfertigen, daß er den Erkenntniswert der wirtschafts-theoretischen Forschung gegenüber der wirtschafts-historischen Forschung überhaupt ins klare stellte. So hatte Richard Wagner den Musikdramen, die er gedichtet und komponiert hatte, Schriften über die Aufgabe des Musikdramas folgen lassen, Schriften, die ihre überzeugende Kraft im letzten Grunde aber doch aus der überwältigenden Wirkung seiner Musikdramen selbst ableiteten. Bei Menger ist es nicht anders gewesen. Sein Buch über die Methode verdankt im letzten Grunde seine Beweiskraft der werbenden Kraft der Erkenntnisse, die er im Sinne seiner Methode in seinen „Grundsätzen“ gefunden und niedergelegt hatte. Wer dürfte zweifeln, daß er sich des methodischen Weges, den er zu nehmen hatte, eben an diesen Erkenntnissen gewußt geworden ist? Übrigens ist es klar, daß es keine wissenschaftliche Methode gibt, die so genau vorgezeichnet wäre, daß sie den Erfolg der Forschung verbürgen könnte. Die Methode kann immer nur die allgemeine Richtung der Forschung und die allgemeine Beschaffenheit der zu verwendenden Hilfsmittel feststellen, im einzelnen Falle muß aber wieder der Blick des Forschers wählen und entscheiden. Damit, daß die Naturforschung den Wert des Experiments erkannte, war gewiß eine bedeutungsvolle Erkenntnis gewonnen, aber bedeutungsvoller noch war es, wenn einem großen Entdecker ein glückliches Experiment gelang, durch dessen Erfolg das Gebiet gesicherten Erkennens erweitert wurde. In diesem Sinne ist Mengers methodische Hauptleistung nicht sein Buch über die Methode, sondern die Entdeckung einer Reihe von materiellen Erkenntnissen, die ihm auf dem Wege exakter Forschung in den „Grundsätzen“ gelungen war und die an einer Reihe von entscheidenden Punkten der Not des Denkens ein Ende bereitete, in der sich zu seiner Zeit die wissenschaftliche Ökonomie befand. Diese materiellen Ereknntnisse sind es, die ihm Nachfolger gewannen und eine neue Schule begründeten.

In diesen materiellen Erknntnissen erkenne ich Mengers wissenschaftliches Werk. Ich glaube meiner Aufgabe am besten zu dienen, wenn ich mich über ihren Inhalt und ihre Bedeutung so ausführlich ausspreche, wie es an dieser Stelle angeht.

Indem ich so vorgehe, habe ich den besonderen Vorteil, daß ich mich nicht an Allgemeinheiten zu halten brauche, sondern daß ich die Wirkung von Mengers „Grundsätzen“ an einem besonderen Falle demonstrieren kann, den ich auf das genaueste kenne, weil ich ihn selber erlebt habe. Ich und Böhm-Bawerk, der von den Anfängen der Mittelschule an mein Arbeitsgenosse war, haben zu den ersten Lesern von Mengers „Grundsätzen“ gehört und wir wurden durch das Studium dieses Buches für immer der theoretischen Nationalökonomie gewonnen. Ich springe nicht von meinem Gegenstande ab, wenn ich zunächst einmal von uns beiden spreche und den geistigen Zustand schildere, in dem wir uns befanden, bevor wir und nachdem wir Mengers „Grundsätze“ kennen gelernt hatten.

Wir beide sind, wie alle in Österreich gebildeten Ökonomen, auf dem Wege über die Jurisprudenz zur Nationalökonomie gekommen und wir beide haben uns immer dankbar erinnert, welche Förderung für unser volkswirtschaftliches Erkennen wir durch die strenge juristische Schulung erhalten haben. Das römische Privatrecht, dieses Meisterstück begrifflicher Ausarbeitung, ist Vermögensrecht, ist Wirtschaftsrecht; seine klaren Rechtsgestalten sind durchaus aus den Elementen der Wirtschaft aufgebaut. Ebenso ist die römische Rechtsgeschichte, indem sie die geschichtliche Folge dieser Rechtsgestalten darlegt, ein Stück Wirtschaftsgeschichte, das fertiggestellt war, lange bevor der Gedanke reifen konnte, die Wirtschaftsgeschichte als solche zu schreiben. Der österreichische Jurist ist insoweit daher auch wirtschaftsgeschichtlich geschult. Wir nahmen diesen ganzen reichen Stoff begierig in uns auf, aber gerade die klare Ordnung, in der er uns geboten wurde, reizte unseren jugendlichen Übermut. Die Rechtswissenschaft galt uns als etwas Abgeschlossenes, Fertiges, das keine neuen Aufgaben mehr stellte, dagegen gelüstete es uns, zu erkennen, welche Macht es wäre, die dem Gesetzgeber selber das Gesetz gab, und so schoben wir die geschriebenen Gesetzbücher beiseite und wendeten uns den ungeschriebenen Naturgesetzen der wirtschaftenden Gesellschaft zu. Aber nun befanden wir uns auch schon in jener Not des Denkens, wie sie damals die ökonomische Wissenschaft bedrängte. Vergebens suchten wir nach einem Ausweg. Lorenz v. Stein, dessen Bedeutung wir erst später auf anderen Gebieten schätzen lernten, bot uns in seinen Vorlesungen über theoretische Nationalökonomie glänzende Worte, welche die Begriffe verhüllten. Das Lehrbuch, nach dem wir zunächst griffen, war das gediegene Werk von Rau, an dem sich die deutsche Jugend durch Jahre und Jahre herangebildet hatte, ein Muster deutscher Gründlichkeit und Redlichkeit, das den Stand der Kenntnisse von damals getreu vermittelte, aber dem Denken keine treibende Anregung geben konnte, weil es ohne eigene Kraft das fremde Gedankengut der englischen und französischen Klassiker wiedergab. Als wir uns sodann an die klassischen Meister selber wandten, harte unser eine neue Enttäuschung. Wir fanden einen reichen Stoff vor uns und fanden ihn, was uns einen viel stärkeren Eindruck machte, durch das revolutionäre gesellschaftliche Denken des 18. Jahrhunderts geistig erleuchtet – denn anders als die Revolutionen der Gegenwart, war die Revolution des 18. Jahrhunderts aus dem Geiste geboren – aber wir mußten doch bald gewahr werden, daß dem Denken der Klassiker die zwingende Geschlossenheit fehlte. Die Klassiker sahen die wirtschaftliche Welt aus dem Gedanken der Freiheit, der ihnen über alles ging, und sie stellten sie daher so dar, daß die Freiheit in ihr ihre natürliche Stätte fand. Da das Publikum, zu dem sie zu sprechen hatten, so wie sie auf den Gedanken der Freiheit gestimmt war, so verschlug es für die Wirkung nichts, wenn sie die Tatsachen idealisiert wiedergaben und wenn ihre Beweisführung lückenhaft war; wir aber lebten in einer Zeit, die im Gegensatze zum 18. Jahrhundert, das nach äußerster Erweiterung der Freiheit verlangt hatte, nun nach ihren notwendigen Einschränkungen suchte und die daher kritischer sah. Wenn Adam Smith sich immer noch in Geltung erhielt, so war dies, wie ein geistreicher französicher Beurteiler sagte, daraus zu erklären, daß er dort, wo sein Gedanke mit der Erfahrung nicht mehr stimmen wollte, unbekümmert um den logischen Widerspruch, in den er geriet, den ersten Gedanken fallen ließ, um einen neuen aufzunehmen, der der Erfahrung gerechter wurde, während Ricardo, der bis zum Schlusse folgerichtig sein wollte, überall mit den Tatsachen in unlösbaren Widerspruch kam. Wir hätten uns in das klassische System eher hineingefunden, wenn seine Irrungen und Lücken sich bloß auf weiterentlegene Folgerungen bezogen hätten, sie betrafen aber die Grundlagen selbst, nach denen wir in erster Linie suchten, und wir waren daher vom Anfang an in Unsicherheit und Zweifel geworfen. Während die Hauptanklage, die man damals in Deutschland gegen die Klassiker erhob, auf ihren Individualismus ging, fanden wir, daß sie ihrem individualistischen Bekenntnis von Anfang an ungetreu geworden waren. Als richtige Individualisten hätten sie die Volkswirtschaft aus dem Sinne der wirtschaftenden Individuen erklären müssen, die zur Volkswirtschaft verbunden waren, sie hätten den Sinn des Wirtschaftens und den Wert als das Maß für die Wirtschaft aus dem Gedankenkreise des wirtschaftenden Individuums ableiten müssen, was immer sie auch über die Veränderungen zu sagen hatte, die beim volkswirtschaftlichen Zusammenstoße der Individualwirtschaften sich ergeben mußten. Davon wollten sie aber nichts wissen; die Volkswirtschaft war ihnen eine Erscheinung für sich, der volkswirtschaftliche Wert – das war für sie der Tauschwert – hatte für sie mit dem privatwirtschaftlichen Werke, als welchen sie den Gebrauchswert erklärten, nichts zu tun. Vom Gebrauchswerte behaupteten sie, daß er der Nützlichkeit folge, während die nützlichsten Dinge, wie Luft und Wasser, ohne Tauschwert seien oder Güter von so geringer Nützlichkeit, wie Gold und Diamanten, ungleich höheren Tauschwert hätten, als Güter von der hohen Nützlichkeit des Eisens oder der Lebensmittel. Wenn man aber den volkswirtschaftlichen Tauschwert irgendwie verständlich machen wollte, so mußte man doch auf irgendeinem Wege eine Beziehung zu einem individuellen, zu einem persönlichen Wertinteresse finden. Dieser Notwendigkeit haben sich auch die Klassiker fügen müssen und sie glaubten diese Beziehung, wenn auch nicht für alle Güter, so doch für die große Masse der Güter darin finden zu können, daß die große Masse der Güter als Produkt menschlicher Arbeit gewonnen werde. Arbeit fordert, wie Adam Smith sagt, von den Menschen ein Opfer an Ruhe, Freiheit und Glück, und der Besitz von Arbeitsprodukten muß daher in den Augen der Menschen dadurch Wert erhalten, weil er ihnen die nochmalige Aufwendung eines Arbeitsopfers erspart. Dem Leser, der dem klassischen Beweisgange bis hierher gefolgt ist, wird aber nun die größte Überraschung bereitet, denn Adam Smith erklärt mit einem jener Sprünge, die für ihn so bezeichnend sind, daß der auf Arbeit gegründete Wert nicht der Wert der Wirklichkeit sei; er sei es einmal gewesen in jenen ersten Zeiten, bevor der Boden in Privateigentum gekommen sei und die Bodenbesitzer, die es lieben, dort zu ernten, wo sie niemals gesät haben, eine Rente von ihrem Lande verlangten. Seit das Privateigentum herrsche, folge der Wert nicht mehr der durch die Produktion erforderten Arbeitsmenge allein, sondern er folge außerdem noch einer Reihe von andern bestimmenden Gründen. Ricardo sucht mit der ihm eigentümlichen logischen Unerbittlichkeit dem Arbeitswert näher zu bleiben, aber trotz aller Künste des Scharfsinnes, die er aufwendet, sieht auch er sich am Ende genötigt, im Werte der Wirklichkeit Elemente zuzugeben, die nicht von der Arbeit herrühren. So schließt die klassische Lehre mit dem Gegensatz eines Idealwertes und eines Wirklichkeitswertes. Die klassische Theorie sah sich genötigt, sich an den Idealwert zu halten, der sich in Wirklichkeit nicht findet, weil sie vermeinte, nur aus ihm mit Hilfe jener Idee des Arbeitsopfers den Sinn des Wertes überhaupt verständlich machen zu können. Ist das aber wirklich so? Ist man damit, daß man den Sinn des Idealwertes verstehen gelernt hat, in der Tat in den Sinn des ganz anders aufgebauten Wirklichkeitswertes eingedrungen? Ist es nicht im Gegenteil eine Verurteilung des Wirklichkeitswertes, wenn er anders aufgebaut ist, als er es der wahren Wertidee nach sein sollte ? Ist nicht die sozialistische Kritik des gegebenen Zustandes, ist nicht Karl Marx mit seinem Mehrwerte in vollem Recht? Ist nicht die sozialistische Theorie erst die Vollenderin des klassischen Gedankens, den die Klassiker selber zu Ende zu denken nicht den Mut hatten?

Ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, dem Leser von der Not des Denkens, in der wir uns bei unseren Anfängen des Ökonomischen Studiums befanden, eine klare Vorstellung zu geben. Wir haben diese Not damals auf das schärfste ermpfunden. Bei den Klassikern konnten wir nicht bleiben, darüber hatten wir keinen Zweifel, aber ebensowenig konnten wir uns den Sozialisten zuwenden, denn es war uns deutlich, daß sie, indem sie die Klassiker zu Ende dachten, eben nur deren Irrtümer zu Ende dachten. Wie aber aus diesen Irrtümern herausfinden? Oder sollten wir uns so entscheiden wie die deutsche historische Schule und auf theoretische Erkenntnis überhaupt verzichten, weil wir aus der Irrtümern der Klassiker nicht herausfinden vermochten?

In dieser Bedrängnis kamen uns Mengers „Grundsätze“ zur Hand und mit einem Male waren wir aus allen Zweifeln heraus. Hier war ein fester archimedischer Punkt gegeben, von dem aus wir weiter finden konnten, nein, eine volle archimedische Fläche war gegeben, wo wir festen Grund fassen konnten und genügenden Überblick halten, um beruhigt zu sein, daß wir mit sicheren Schritten weitergehen konnten.

Menger hat mir später einmal erzählt, wie er selber dazu gekommen war, diesen festen Grund zu finden. Er hatte als junger Beamter für die „Wiener Zeitung“ die Übersichten über den Stand der Märkte zu schreiben. Beim Studium der Marktberichte fiel ihm auf, daß die Tatsachen, denen von den erfahrensten Kennern des Marktes der entscheidende Einfluß auf die Preisbildung zugeschrieben wurde, zu den Preisthorien, wie sie wissenschaftlich gelehrt wurden, keineswegs stimmen sollten. Indem er daraufhin dem Ablaufe der Preisbildung auf den Märkten nachging, wurde er nach und nach auf die richtige Spur geführt. Er fand, daß die letzte Quelle der Preisbildung die Wertschätzung sei, welche die schließlichen Abnehmer der Güter, die Konsumenten, hätten; die Wertschätzung wieder, welche die Konsumenten für die Güter haben, gehe von der Schätzung der Bedürfniswerte aus, das will sagen, der Werte, welche die Menschen den Bedürfnisbefriedigungen zumessen, die sie erreichen können – diese aber wieder hingen mit dem Grade der Sättigung zusammen, wie man ihn im gegebenen Falle zu erreichen vermöge. Bei zunehmender Sättigung nimmt die Intensität des Begehrens ab. So gelangte Menger zu dem Sättigungsgesetze, wie es neben ihm noch einige andere ökonomische Denker selbständig gefunden haben, das aber in seiner Fassung besondere Bedeutung erlangte, weil er es war, der es in fruchtbarster Weise mit andern Erkenntnissen verband. Das theoretisch bedeutungsvolle Element des Sättigungsgesetzes liegt darin, daß die Größe des Gütervorrates als Faktor der Wertgröße erkannt ist. Im Sättigungsgesetze, das uns sagt, daß steigender Vorrat durch steigende Sättigung den Bedürfniswert mindere, ist das Marktgesetz von Angebot und Nachfrage vorbereitet. Da der Bedürfniswert zum persönlichen Werte, zum Gebrauchswerte wird, und da das Gesetz von Angebot und Nachfrage den Tauschwert betrifft, so ist jener Gegensatz bereinigt, den die klassische Lehre zwischen Gebrauchswert und Tauschwert aus dem privatwirtschaftlichen Gebrauchswerte und sodann auch die volkswirtschaftlichen Bildungen überhaupt aus dem Sinne des Wirtschaftens herzuleiten, wie er jedermann aus seiner persönlichen Erfahrung vertraut ist.

Mit derselben Klarheit des Blicks, mit der Menger in die innere Welt der Bedürfnisse eingedrungen war, überschaute er auch den Aufbau der äußeren Welt der Güter. Die ganze Fülle und Mannigfaltigkeit der Besitztümer, welche den menschlichen Reichtum bilden, faßt er in eine Reihe von Ordnungen zusammen, die den Stufen entsprechen, welche der produktive Prozeß zu durchlaufen hat, wenn er, dem Boden die Bodenschätze entnehmend, die Rohstoffe von einer Gestalt in die andere wandelt und alle Gütergestalten von einem Platze zum andern verschiebt, bis das genußbereite Schlußprodukt im Haushalte seinen Dienst tun kann – nur daß Menger die Stufen nicht so reiht, wie sie im Produktionsprozesse zeitlich aufeinander folgen, sondern daß er umgekehrt von der Ordnung der Schlußprodukte an nach rückwärts zählt, weil diese Ordnung dem Bedürfnisse zunächst steht und daher als die erste vom Bedürfnisse aus ihren Wert empfängt. Von dieser Ordnung teilt sich sodann die Wertverstellung der zweiten Ordnung mit, das heißt denjenigen Gütern, aus denen die Güter erster Ordnung unmittelbar bereitet werden, so wie zum Beispiel Brot aus Mehl bereitet wird; von der zweiten Ordnung teilt sich die Wertvorstellung der dritten, von dieser der vierten mit und diese Übertragung vollzieht sich immer weiter bis zu den entferntesten Ordnungen, zu denen die Menschen mit ihren produktiven Verfügungen dringen. Immer aber wird Wert nur unter der Voraussetzung weiter übertragen, daß man durch die Enge des Güterbesitzes sich dazu genötigt fühlt; solchen Gütern, die im natürlichen Überflusse zur Verfügung stehen, assoziiert sich der Bedürfniswert nicht, von ihrem Besitz fühlt man sich nicht abhängig und man verwendet sie ohne wirtschaftliche Sorge nach freiem Belieben; man achtet es nicht als Verlust, wenn diese oder jene Teilmenge aus der menschlichen Verfügungsmacht tritt, man ist dadurch nicht ärmer geworden, denn man hat bei dem gegebenen Überflusse immer noch andere Güter zu freier Verfügung übrig. Der Mensch schätzt eben die Güter nicht um ihrer selbst willen, sondern nur um seinetwillen, und also nur so weit, als er sein Interesse mit ihrem Bestande verbunden fühlt. In jeder Ordnungsstufe erhalten mit den zugehörigen Gütern zusammen immer auch die Arbeitsleistungen fordert, so ist der Wert des Produktes immer auf alle die zusammenwirkenden, oder wie Menger sie nennt, die komplementären Faktoren aufzuteilen. Nach welchen Gesetzen sich diese Aufteilung des Bedürfniswertes vollzieht, soll an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden, es genügt, wenn festgestellt wird, daß jeder Produzent und jeder Konsument in den Antrieben seines Begehrens und in den tatsächlichen Umständen seiner wirtschaftlichen Verfügungsmacht das Maß für die Ermittlung aller wirtschaftlichen Wertgrößen gegeben findet, um die es ihm jeweils zu tun ist. Die persönlichen Werteinschätzungen zusammen mit dem Reichtum an Mitteln, über die jedermann zu verfügen hat, weisen den Produzenten und Konsumenten die Grenzen an, bis zu denen sie auf dem Markte mit ihren Preisforderungen und Preisanerbietungen zu gehen haben, und aus den Komponenten aller persönlichen Werteinschätzungen und Machtmittel ergeben sich schließlich die Resultanten des Preises. Da aus den Preiserlösen, die man gewinnt, sich das Einkommen zusammensetzt, so ist Menger mit seiner Erklärung, die beim Individuum beginnt, bis in das Herz des großen volkswirtschaftlichen Prozesses vorgedrungen.

Die „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“ erschöpfen nicht im mindesten die ganze Summe der wirtschaftstheoretischen Probleme. Sie haben noch viele und viele Probleme offen gelassen, und darunter solche, welche die größte Bedeutung besitzen und die größten Schwierigkeiten bieten, aber das was sie bringen, ist doch so viel, und es ist vor allem in sich so lückenlos geschlossen, es ist alles so von seinen ersten Voraussetzungen her gesichert, daß das Wort von der archimedischen Fläche, das ich früher gebrauchte, dem Leser nun verständlich geworden sein dürfte. Ich und Böhm-Bawerk, wir hatten beide das gleiche Gefühl empfangen, daß wir von dem Boden aus, auf den wir durch Menger gestellt waren, weiterarbeiten konnten, ohne befürchten zu müssen, daß wir durch die Voraussetzungen, die wir von ihm empfingen, in Irrtum geführt würden. Ja, mehr noch, wir beide empfanden einen geradezu unwiderstehlichen Reiz, weiter zu arbeiten und uns an die Probleme zu wagen, die Menger noch offen gelassen hatte. Wir waren etwa in der Verfassung eines Schachspielers, der sich vor eine verwickelte Aufgabe gestellt fühlt, die von einem überlegenen Meister erdacht ist und die daher lösbar sein muß und von der man um so weniger lassen kann, je größer ihre Schwierigkeiten sind. Wir hatten einsehen gelernt, daß alle volkswirtschaftlichen Bildungen in einem allmählichen geschichtlichen Werden aus dem Sinne der Wirtschaft und mit den Mitteln wirtschaftlicher Macht gestaltet wurden und daß ihr Bildungsgesetz sich dem forschenden Geiste erschließen müsse, wenn man nur die genügende Aufmerksamkeit daran wendete, den gestaltenden Bestrebungen und Mächten nachzugehen. Es gibt kein unlösbares Problem der Wirtschaftstheorie, denn was der schaffende Geist gestaltet hat, muß der sinnende Geist verstehen können, wenn er den Wegen des Schaffens zu folgen, das Verlangen und die Geduld hat.

Für alle diejenigen freilich, denen die ökonomische Theorie nur das Werkzeug sein sollte, um die eigenen Interessen erfolgreicher zu wahren, mußte eine solche Erkenntnis, wie wir sie durch Menger gewonnen hatten, abschreckend wirken, denn sie alle möchten die Geduld nicht aufbringen, die eingesetzt werden mußte, um Schritt für Schritt bis zum Ende zu gelangen. Dieses Urteil trifft aber alle ökonomischen Schulen, die bis dahin aufgetreten waren, so hoch sich auch der eine oder der andere Forscher persönlich über den Gesichtskreis seiner Schule erheben mochte. Alle Schulen verfolgten das Interesse einer der großen volkswirtschaftlichen Parteien, die es in der Welt gegeben hat. Sie gingen nicht auf reines Erkennen aus, wie die Naturwissenschaften es tun, seit sie den Namen einer Wissenschaft verdienen, sondern sie suchten Beweismittel für ihr Parteiinteresse. Dies gilt von den bürgerlichen Ökonomen wie von den proletarischen, und es gilt von der historischen Schule, die ihr ganz bestimmtes nationales Interesse vertritt, wie von der klassischen Freiheitslehre, die sich als kosmopolitisch gab. Es muß zugegeben werden, daß im Fortschritte der Schulen nach und nach gewisse Wahrheiten gefunden wurden, welche Gemeingut aller redlichen Geister blieben; indes dieser Niederschlag an festen Wahrheiten wog gering gegen die Masse dessen, was im Streit schwankte. Es ist einer von Mengers Ruhmestiteln, daß er von Anfang an den reinen Weg des Erkennens ging. Die Klarheit der Beobachtung, die er als Gabe des Talentes in sich fand, hätte ihm nicht ihren vollen Dienst geleistet, wenn sein wissenschaftlicher Charakter nicht von Parteiinteresse freigeblieben und dadurch von den trügerischen Versuchungen der Leidenschaft bewahrt worden wäre. Infolgedessen ist es ihm gelungen, das wissenschaftliche Gemeingut der Wirtschaftstheorie erheblich zu mehren. Ich weiß recht wohl, daß ich der Entwicklung vorgreife, wenn ich diese Worte ausspreche, denn heute ist der größte Teil der Wahrheiten, die dazu bestimmt sind, einmal wissenschaftliches Gemeingut zu werden, noch immer durch die Leidenschaft des Parteiinteresses verdunkelt, und es trennt insbesondere eine weite Kluft die Anschauungen der bürgerlichen von denen der proletarischen Denker. Indes die Zeit wird kommen, sie muß kommen, wo ein gewisses innerstes Gebiet wirtschaftlicher Wahrheiten – es sind das diejenigen, die sich auf Elemente beziehen, welche allen gesellschaftlichen Organisationen gemeinsam bleiben – im gleichen Sinne von jedermann erkannt sein wird, der als Theoretiker wird gelten wollen. Die proletarischen Ökonomen werden von den bürgerlichen Ökonomen eine Reihe von Erkenntnissen übernehmen, ohne dadurch ihrem grundsätzlichen Standpunkt irgendwie zu vergeben, und sie werden erkenn, daß sie ihren Standpunkt festigen, wenn sie ihn auf Wahrheiten allgemein anerkannter Geltung stützen. So wie die Arbeiterschaft damit begann, die Maschinen zu sabotieren, bevor sie erkannte, daß die Maschinen ihr mächtiges Arbeitswerkzeug zu werden berufen seien, so wird die proletarische Theorie dereinst über die Sabotage denken, die sie heute an den Grundbegriffen der Theorie begeht. Die Leistung Mengers wird erst ganz verstanden sein, wenn einmal diese Zeit gekommen ist.

Heute ist ein halbes Jahrhundert seit dem Erscheinen von Mengers „Grundsätzen“ vergangen. Die österreichische Schule hat in diesen Jahrzehnten Mengers Lehren zu einem System erweitert, das freilich noch immer nicht ganz ausgebaut und auch noch keineswegs ganz gefestigt ist. Dennoch darf man es aussprechen, daß die „Grundsätze“ selber, auf denen dieses System ruht, sich voll bewährt haben. Menger hat mir einmal gesagt, er wisse genau, wie unfertig sein Werk sei, aber er dürfe doch von sich behaupten, daß er eine Reihe von Bausteinen zum Aufbau der Wirtschaftstheorie geliefert habe. Er hätte hinzusetzen können, daß es nicht einfache Bausteine, sondern daß es Grundsteine der Wirtschaftstheorie sind, die er beigetragen hat.