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Freiheit oder Demokratie (1997) |
Freiheit oder Demokratie (1997)
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Quelle: Criticón, Nr. 154 (1997), S. 80-82.
Der grundlegende Unterschied zwischen Libertären und Anhängern des klassischen Liberalismus liegt in der Beurteilung des Staates. Während er letzteren ein "notwendiges Übel" ist, sind die Libertären überzeugt, daß der Staat nichts kann, was der Markt nicht besser könnte. Sie wollen daher überhaupt keinen Staat. Gerichte und Sicherheitsdienste möchten sie in privaten Händen sehen, genau wie auch Schuhe und Brot nicht vom Staat, sondern von Privatleuten produziert werden. Daher sehen Libertäre auch mit einiger Skepsis auf die Demokratie. Denn so, wie das Wort heute verstanden wird, bedeutet Demokratie lediglich eine bestimmte Herrschaftstechnik, d.h. ein bestimmtes Verfahren, nach dem ermittelt wird, auf welche Weise das Eigentum welcher Menschen ungestraft verletzt wird. Libertäre wollen aber überhaupt keine ungestrafte Eigentumsverletzung dulden. Es kommt für sie nicht darauf an, wer das Eigentum anderer Menschen verletzt und aus welchen Gründen er das tut. Es spielt auch keine Rolle, ob viele oder wenige Menschen solches Unrecht gutheißen. Aus diesen Gründen können sie der Demokratie im obigen Sinne wenig abgewinnen. Das macht sie den Freunden der Demokratie verdächtig. Gerade die Deutschen sind heutzutage eifrig bemüht, sich als gute Demokraten zu beweisen. Die meisten unserer Mitbürger denken, "die Nazi-Sache" sei nur schiefgelaufen, weil wir nicht demokratisch genug waren. Der Zusammenbruch der DDR hat diesen Eindruck noch verstärkt. Nach der mittlerweile herrschenden Auffassung ist die DDR nicht gescheitert, weil ihr Organisationsprinzip und ihre Moral von Grund auf falsch waren, sondern weil das Politbüro wie ein Tyrann herrschte. Hätten nur die Massen das Sagen gehabt – es wäre alles zum Guten gekommen!
Ist eine liberale Ordnung Sache von Mehrheitsentscheidungen?
Daß diese Auffassung auf die meisten Mitbürger soviel Charme ausübt, ist in gewisser Hinsicht dem Sozialismus zu verdanken. Denn nachdem dieser in allen seinen Varianten gescheitert war, glaubte praktisch niemand mehr, daß Menschen mit Hilfe ihrer Vernunft die "richtige" Gesellschaftsordnung entdecken und umsetzen können. So sehr war es den Sozialisten gelungen, den Rest der Gesellschaft davon zu überzeugen, daß ihre Weltanschauung die Krönung des Rationalismus sei! Nun wird also das rationalistische Kind mit dem sozialistischen Badewasser ausgegossen. Wer seine fünf Sinne noch beisammen hat, kann dieser Entwicklung nur wenig abgewinnen. Am Sozialismus ist so ziemlich alles falsch und schlecht – nur eben nicht, daß er rationalistisch ist. Um sich davon zu überzeugen, genügt die einfache Gegenprobe. Wenn tatsächlich niemand im Besitz von absoluten Wahrheiten ist (oder sein kann) – wie steht es dann mit dieser Aussage selbst? Offensichtlich muß selbst ein Erzrelativist zumindest eines absolut behaupten, daß nämlich alles relativ ist. Mit anderen Worten kann es unmöglich bestritten werden, daß es so etwas wie absolute Wahrheiten gibt – auch wenn es schwierig sein sollte, diese zu erkennen. Wie schwierig das ist, dafür bieten die letzten hundert Jahre eine reiche Anschauung. Doch das Scheitern in der Vergangenheit bedeutet natürlich nicht, daß keine bessere Lösung verfügbar wäre. Das wissen insbesondere jene, die sich ohne sozialistische Vorurteile daran machen, die große liberale Tradition weiterzuentwickeln. Es führt kein Weg daran vorbei, daß wir unser Leben und unsere Gesellschaft nach bestimmten absoluten Grundsätzen ordnen. Es ist reine Augenwischerei, zu sagen, daß alles relativ ist, wenn man sich in der Tat doch immer entscheiden muß. In jeder Sekunde entscheiden wir nicht nur, was wir tun, sondern gleichzeitig, was wir nicht tun bzw. unterlassen. Wir kommen gewissermaßen gar nicht daran vorbei, in jedem Augenblick aufs Neue nach bestimmten Grundsätzen zu handeln, die dann – zumindest in diesem Augenblick – den Charakter von absoluten Maßstäbe tragen. Folglich hat jeder Mensch, dem am gesellschaftlichen Zusammenleben mit anderen Menschen gelegen ist, ein großes Interesse daran, nur die besten Grundsätze zur Anwendung zu bringen. Die skeptische Beurteilung der Demokratie durch die Libertären entspringt nun ihrem Zweifel, daß Mehrheitsentscheidungen bzw. Demokratie zu diesem Zweck besonders geeignet sind. Denn letztlich geht es hier um eine Frage der Richtigkeit bzw. Gerechtigkeit. Zum Erhalt jeder Zivilisation muß erkannt werden, was die Grundsätze einer gerechten Gesellschaftsordnung sind. Ob eine Handlung gerecht ist oder nicht, ist aber keine Frage der Mehrheit. Entweder eine Handlung ist gerecht, oder sie ist es nicht. Wenn sie gerecht ist, ändert auch keine Mehrheit etwas daran. Wenn sie ungerecht ist (wie etwa Mord), wird sie auch dadurch nicht gerechter, daß sie von einer Mehrheit gutgeheißen wird. Libertäre glauben daher nicht, daß Menschen Recht "festsetzen" können. Sie denken, daß Recht immer nur "gefunden" werden kann, und dabei wollen sie niemandem ein Monopol einräumen. Sie sind davon überzeugt, daß auf lange Sicht nur diejenigen Richter und Rechtsanwälte beauftragt und nur diejenigen Gesetzestexte verwendet werden, die die Gewähr dafür bieten, für alle Beteiligten in einem Rechtsstreit die beste Lösung herbeizuführen. Der Wettbewerb zwischen Rechtsfindern führt daher mit einiger Sicherheit zu ständigen Verbesserungen bei der Rechtspflege. Hingegen rechtfertigt das Gewaltmonopol des Staates in den Augen der Libertären ein solches Vertrauen nicht – auch dann nicht, wenn die Entscheidungen des Staates in nicht näher bestimmter Weise "von allen" getroffen werden. Nach libertärer Auffassung ist eine solche "Lösung" des Problems der Rechtsfindung einfältig. Denn sie beruht auf dem Glauben, daß ein Rechtsspruchs bereits dann gerecht ist, wenn er von den meisten Menschen begrüßt wird. Trotzdem ist die Auseinandersetzung mit der demokratischen Regierungsform ein wichtiger Teil der großen liberalen Revolution. Denn von den großen Ideen der Moderne – dem klassischen Liberalismus, dem Sozialismus und der Demokratie – hat einzig die Demokratie unser Jahrhundert einigermaßen unbeschadet überstanden. Dieser Erfolg ist jedoch alles andere als verdient. Die Demokratie hat uns ebensowenig vor Hitler geschützt wie sie die Vietnamesen vor der US-Army bewahrte. Sie hat uns weder Frieden noch Gerechtigkeit im Land gebracht, sondern Klassen und Interessengruppen geschaffen, die sich auf Kosten ihrer Mitbürger bereichern. Noch herrscht der Mythos, daß Demokratien einander nicht bekriegen, daß die Demokratie ein Grundbestandteil jeder Zivilisation sein muß. Doch es fehlt nicht an Gründen, diese Auffassung zu bezweifeln.
Athen als Vorbild?
Von vielen leidenschaftlichen Demokraten wird auf das antike Athen als Vorbild verwiesen. Freie Bürger hielten damals tagaus tagein ihre Beratungen auf dem Marktplatz und stimmten gemeinsam über alles und jeden ab. Dieses Bild läßt die Herzen der heutigen Kommunikationsenthusiasten höher schlagen. Es kann natürlich nur dann jeder "qualifiziert" über alles mitbestimmen, wenn er bestens "über alles informiert" ist. Das ewige Geblubbere in Radio, Fernsehen, Talkshows und Internet ist daher keineswegs ein Selbstzweck. Leider wird dabei übersehen, daß die Informationsaufnahme und -verarbeitung heute wie damals keineswegs umsonst zu haben ist. Sie setzt voraus, daß einem die Angelegenheit entsprechend wichtig ist, so daß man sich die Zeit zur Teilnahme am multimedialen Gelabere nimmt. Trotz aller "Aufklärung" sind die meisten unserer Mitbürger allerdings nicht zu verstärkter Teilnahme am "öffentlichen Diskurs" zu bewegen. Wahrscheinlich wird sich daran nicht eher etwas ändern, bis wir – wie die Athener – die Sklaverei wieder einführen. Dann entfällt der lästige Broterwerb und wir können uns mehr darum kümmern, unseren Nachbarn per Gesetz auf den Leib zu rücken.
Das eherne Gesetz der Oligarchie
Vor allem die mit sozialistischen Vorurteilen belasteten Befürworter der Demokratie begehen bei der Beurteilung gemeinschaftlicher Entscheidungen einen grundlegenden Fehler, der auch ihre weiteren Schlußfolgerungen verzerrt. Sie gehen davon aus, daß allen Beteiligten durch abstimmungs- oder verfahrenstechnischen Vorkehrungen der gleiche Einfluß auf diese Entscheidungen verschafft werden kann. In der Tat aber sind solche Formvorschriften für die Entscheidungsfindung weitgehend unerheblich. Solange Menschen in der Gemeinschaft leben, werden einige unter ihnen aufgrund ihrer Persönlichkeit, ihres Charakters, ihrer besonderen Kenntnisse, Fähigkeiten und Errungenschaften – kurzum: aufgrund des Ansehens, das sie bei ihren Mitmenschen genießen – einen hervorragenden Einfluß auf andere ausüben. Der Respekt, der ihnen entgegengebracht wird, steigert ihre Macht bei Entscheidungen der Gemeinschaft weit über die von anderen hinaus. Dieser Sachverhalt wird sehr treffend das "eiserne Gesetz der Oligarchie" genannt. Er ist an allen Orten und zu allen Zeiten anzutreffen. Er ist sogar unabhängig von der jeweiligen Gesellschaftsform. Das eiserne Gesetz der Oligarchie wirkte in den vormaligen Ostblockstaaten, genau wie es in westlichen Demokratien zu beobachten ist. Überall bildet sich eine Elite, die das Geschick der jeweiligen Gesellschaft entscheidend prägt. Die bloße Einführung der Demokratie führt daher keineswegs zu der erhofften Gleichheit unter den Menschen. Sie begünstigt lediglich eine bestimmte Art der Elite. Das kann am besten veranschaulicht werden, wenn man den Vergleich mit einer rein bürgerlichen Gesellschaft hinzuzieht. Hier gelangen vor allem diejenigen Menschen zu Ansehen und Macht, die ihren Mitmenschen auf irgendeine Weise nützlich sind. Das können etwa besonders begabte Unternehmer sein oder Leute, die stets mit gesundem Rat beiseite stehen, oder auch Persönlichkeiten, die von Idealen nicht nur schwätzen, sondern sichtbar mit gutem Beispiel vorangehen. Anders verhält es sich, wo ein Staatsapparat existiert und insbesondere in der Massendemokratie. Hier setzen sich jene an die Spitze, die ein ausgeprägtes Talent dafür haben, sich bei fremden Leuten beliebt zu machen, die ein Gespür dafür haben, bei welchen vorgesetzten Bürokraten und Politikern sie sich am besten einschmeicheln, und die geschickt im Umgang mit dem staatlichen Gewaltapparat sind.
Unzulänglichkeiten einer konsequent umgesetzten Demokratie
Selbst dem oberflächlichen Betrachter können die unsinnigen Folgen nicht entgehen, die eine konsequente Umsetzung des demokratischen Gedankens mit sich bringen würde. Das erste Problem ist natürlich welche Mehrheit das Sagen haben soll. Momentan wird die Demokratie nur innerhalb der Staatsgebiete ausgeübt. Doch solche Grenzen sind dem Gedanken der Demokratie fremd. Ein konsequenter Demokrat kann nur eine Herrschaft der Mehrheit der gesamten Menschheit gelten lassen. Dann aber ist nicht schwer vorauszusehen, daß das Schicksal der europäischen Völker nicht mehr in Paris, London, Brüssel usw. entschieden wird, sondern in Delhi und Peking. Es ist zumindest fraglich, ob es das ist, was die meisten Demokratiefreunde im Sinne haben. In der Regel verweisen sie an dieser Stelle auf das ominöse "Selbstbestimmungsrecht der Völker", um den besonderen Umständen Rechnng zu tragen, mit denen nur bestimmte Gruppen konfrontiert sind. Wie jedes andere Volk hätten die Deutschen nun einmal bestimmte Probleme zu bewältigen, an denen nur sie Interesse hätten und für die nur sie die nötigen Kenntnisse mitbrächten. Deshalb hätten die Deutschen auch das Recht, in diesen Fragen ganz allein für sich zu bestimmen. Das ist ein trefflicher Gedanke. Doch warum tauchen besondere Probleme erst bei der – recht großen – Gruppe der Deutschen auf? Warum nicht bereits bei der Gruppe der Berliner? Oder bei den Einwohnern der Kantstraße? Es wird sich nicht bestreiten lassen, daß jede noch so kleine Gruppe mit besonderen Umständen konfrontiert ist. Jedes Individuum könnte diese Beweisführung zu seinen Gunsten anbringen. Mit anderen Worten führt die folgerichtige Umsetzung des Selbstbestimmungsrechts dazu, daß überhaupt kein Staat mehr existiert, in dem es zu Mehrheitsentscheidungen kommt. Denn immer wenn eine Minderheit sich übergangen fühlt, kann sie sich auf dieses Recht berufen und gesondert abstimmen. Folgerichtig angewendet, ist es daher die Grundlage aller Separatistenbewegungen. Aus diesem Grunde können Libertäre dem Selbstbestimmungsrecht einiges abgewinnen. Nur können in ihren Augen eben nicht nur Völker darauf Anspruch erheben, sondern alle Gruppen bis zu den Individuen. Die Demokratie ist als Organisationsform jedoch nicht nur in Bezug auf den Kreis der Entscheidungsberechtigten widersprüchlich. Noch schwerwiegender sind ihre Mängel, sobald man sich die Folgen ihrer Entscheidungsgewalt vor Augen führt. In einer echten Demokratie stimmt die Mehrheit über alles ab. Wenn es irgendeinen Bereich des Lebens gäbe, der ihren Anordnungen entzogen bliebe, so würde keine reine Demokratie herrschen. Es müßten dann andere Grundsätze zur Geltung kommen, mit denen wir uns hier nicht zu befassen haben, da einzig die Fähigkeit der Demokratie in Frage steht, als Organisationsmodell zu dienen. Wenn die Mehrheit über alles entscheiden darf, dann kann sie natürlich auch bestimmen, daß die Demokratie abgeschafft und alle Macht einem Diktator überantwortet wird. (Gewiß könnte die Mehrheit auch die Abschaffung des Staatsapparates beschließen, und das würden Libertären sicherlich begrüßen. Diese Aussicht ist allerdings denkbar gering. Daher beschränken wir uns hier allein auf den Fall der Machtergreifung durch einen Tyrannen.) Diese Möglichkeit behagt den Demokratiefreunden ganz und gar nicht. In Deutschland und anderen Ländern haben sie daher darauf geachtet, bestimmte "Sicherungen" gegen die von ihnen sonst so gelobten Mehrheitsentschlüsse in die Verfassung einzubauen. Nichts beweist wahrscheinlich mehr das Vertrauen, das sie selbst in ihre Prinzipien setzen. Nichts könnte die Mehrheit auch davon abhalten, die jeweilige Minderheit zu liquidieren. Dieses Verfahren könnte solange betrieben werden, bis nur noch zwei Menschen übrig bleiben. Erst dann entfällt die weitere Schlachterei – aus abstimmungstechnischen Gründen! Auch hier geht es nicht um die Frage, ob ein solches Ereignis wahrscheinlich wäre. Es geht lediglich um die Frage, ob die Verteidiger der Demokratie ernsthaft behaupten wollen, daß solch ein Vorkommnis "gerecht, da von der Mehrheit entschieden" sei. Die Konsequenteren unter ihnen müßten sich zu dieser Ansicht bekennen. Ein weiteres Mal würden sie dadurch zugeben, daß die Demokratie nicht in jedem Fall geeignet ist, eine Zivilisation zu erhalten, geschweige denn zu fördern. (Im übrigen ist es zweifelhaft, ob sie eine Mehrheit hinter sich scharen könnten.)
Ein Mittel zum ewigen Frieden?
Im Gegensatz zu Libertären denken die Anhänger des klassischen Liberalismus, daß die Erfüllung bestimmter, wichtiger Aufgaben wie Gerichtsbarkeit, Strafvollzug und Sicherheitsdienste nicht Privatfirmen anvertraut werden darf. Sie glauben, daß zur Not auch unter Zwang sichergestellt werden muß, daß diese Dienste so erbracht werden, wie sie sich das vorstellen. Die Existenz eines Staates gilt ihnen daher als ein notwendiges Übel. Natürlich waren sie sich der enormen Gefahren bewußt, die solch ein Zwangsapparat mit sich bringt. Schließlich wurde diese Organisation nicht nur mit dem unerläßlichen Schutz des Eigentums betraut. (In diesem Fall würde sie sich nicht von privatwirtschaftlichen Sicherheitsproduzenten unterscheiden.) Ihr wurde auch das Vorrecht eingeräumt, das Eigentum der Bürger ungestraft zu verletzen. Zumindest die Finanzierung des Staatsapparates durch Steuern erfolgt unter klarem Bruch dieses Grundrechts, auf dem jede Zivilisation beruht. Den klassischen Liberalen war klar, daß die dunkelsten Gestalten jeder Gesellschaft von dieser Institution angezogen würden. Ich spreche von jenen Elementen, die darauf aus sind, sich die Güter ihrer Nachbarn zur Not auch mit Gewalt anzueignen. In keiner Gesellschaft – auch in einer libertären nicht – wird es möglich sein, Übergriffe solcher Personen ganz zu vermeiden. Nur Entschlossenheit zur Verteidigung des eigenen Hab und Gutes schreckt sie ab. Allein die Sprache der Gewalt verstehen sie. Doch wenn es eine Gruppe von Menschen gibt, die über das verheerende Vorrecht verfügt, ungestraft die Grundfeste der Gesellschaft zu verletzen, dann wird den unverbesserlichen genau wie den latenten Kriminellen Tür und Tor geöffnet. Ihre Aufgabe ist nun um ein Vielfaches erleichtert. Sie müssen nicht mehr selber Hand anlegen und anschließend fürchten, in der Öffentlichkeit als das dazustehen, was sie in der Tat sind, nämlich als Verbrecher. Alles, was sie tun müssen, ist irgendwie Einfluß auf die Betätigungen des Staatsapparates zu gewinnen. Andere erledigen dann den schmutzigen Beruf für sie – im Namen des Gesetzes und ohne daß auch nur einer der dabei Beteiligten um seinen Ruf fürchten müßte. Wie ehrbare Leute leben sie unter Menschen, die nicht merken, wer ihnen das Blut aussaugt. Wie gesagt, wußten die klassischen Liberalen, daß der Staatsapparat auf diese Weise mißbraucht werden könnte. Nur gab es in ihren Augen keine Möglichkeit, ganz auf ihn zu verzichten. Sie vertrauten darauf, daß die Menschen "vernünftig" sein würden beim Umgang mit einer Einrichtung, die auf Unvernunft gegründet ist. Daß sie den Staat ausgerechnet auf demokratische Weise leiten wollten, hatte zweierlei Gründe. Zum einen glaubten sie, daß die Mehrheit kein Interesse an Verletzungen des Eigentums haben würde, da sie selber davon betroffen wäre. Viele von ihnen weigerten sich geradezu, die theoretische Möglichkeit einzuräumen, daß sich wechselnde Mehrheiten bilden, um die jeweilige Minderheit auszubeuten. Die Erfahrungen dieses Jahrhunderts zeigen leider, wie falsch sie damit lagen. Zum anderen hatten sie – im Gegensatz zu Merkantilisten und anderen Staatsfans – erkannt, daß nicht der Krieg, sondern der Frieden der Vater aller Dinge ist. Krieg und Zerstörung verringern Arbeitsteilung und Produktivität. Sie behindern somit den materiellen wie geistigen Fortschritt der Zivilisation. Vom Fortschritt der Aufklärung hängt es in den Augen der klassischen Liberalen jedoch ab, wie vernünftig mit dem Staatsapparat umgegangen wird. Um nun den Frieden zu erhalten, sahen sie die Demokratie als besonders geeignet an. Sie gingen dabei von der Überlegung aus, daß kein Herrscher auf lange Sicht gegen den Willen der Mehrheit regieren kann. Letztere würde sich früher oder später mit blutigem Aufstand des Tyrannen entledigen. Würde sich der Mehrheitswunsch jedoch durch friedliche Wahlen Geltung verschaffen können, so wären Kämpfe unnötig. Die Demokratie erschien daher als das ideale Werkzeug, um friedliche Regierungswechsel herbeizuführen. Oberflächlich gesehen, haben die klassischen Liberalen zumindest insofern Recht behalten, als es bislang noch in keiner Demokratie zum Aufstand gekommen ist. Ob das daran liegt, daß der Wille der Mehrheit sich stets durchsetzt, muß allerdings zumindest im Fall von parlamentarischen Demokratien bezweifelt werden. Viel wahrscheinlicher ist, daß die meisten unserer Mitbürger infolge der unerhörten Demokratiepropaganda bislang glaubten, daß der Wunsch der Mehrheit herrscht. Durch die Tatsachen belehrt, wenden sie sich von dieser Überzeugung nun offensichtlich zunehmend ab. Der grundlegende Irrtum auf Seiten der klassischen Liberalen in diesem Zusammenhang liegt jedoch woanders. Er liegt in der Auffassung, die sie von einem staatlich gesicherten Frieden haben. Zwar stimmt es, daß der Frieden der Vater aller Dinge ist. Doch es ist ein Irrglaube, daß eine überlegene Waffengewalt der Mehrheit allein bereits für Frieden sorgt. Solange es Ausbeutung gibt, kann es keinen Frieden geben, sondern nur ein Stillhalten, bis sich die Gelegenheit zum Gegenschlag ergibt. Nur eine Handhabung der Waffen zum Schutz des Eigentums hat daher Aussicht, wirklich Frieden herbeizuführen. Wenn aber die Gewalt gegen das Eigentum selbst gerichtet wird, geschieht Unrecht, und Unrecht wird auch dadurch nicht zu Recht, daß eine Mehrheit sich seiner schuldig macht. An dieser Stelle sollten noch wir bemerken, daß selbst der klassische Liberalismus für die Demokratie nur eine sehr eingeschränkte Rolle vorsieht. Denn natürlich ist sie in seiner Konzeption nur bei der Leitung des Staatsapparates anzuwenden. Dieser ist dem Wunschbilde nach jedoch sehr klein. Mit anderen Worten waren auch die klassischen Liberalen der Ansicht, daß im weitaus größten Bereich menschlicher Betätigungen der freie Gebrauch des Eigentums vorherrschen sollte. Nur bei der Produktion von Sicherheit sollte der Wille der Mehrheit entscheiden – auch dann, wenn dieser Wille nur unter Eigentumsverletzungen zur Ausführung gelangen kann. Wir brauchen uns an dieser Stelle nicht mit allen Unvollkommenheiten der klassisch liberalen Auffassung zu beschäftigen. Es ist offensichtlich, daß die Produktion von Brot und Kleidung nicht minder wichtig ist, als die von Sicherheit. Wenn man zugesteht, daß der Staat für letztere verantwortlich ist, wie will man seinen Vertretern dann den Anspruch ausreden, auch für erstere zuständig zu sein? In der Tat hat kein Staatsgebilde dieser Versuchung lange widerstehen können. Heute wie schon in der Antike hat sich ein wuchernder Wohlfahrtsstaat herausgebildet, an dem wir genauso zugrunde gehen werden wie einst das römische Reich – wenn wir uns nicht rechtzeitig eines Besseren besinnen.
Die Beste aller Regierungsformen?
Häufig nehmen die Verteidiger der Demokratie für sie wie selbstverständlich in Anspruch, anderen Regierungsformen in jeder Hinsicht überlegen zu sein. Es ist zumindest fraglich, ob man ihnen das zugestehen sollte. Zum Beispiel hat die heute vorherrschende Form der parlamentarischen Demokratie gegenüber reinen Monarchien den ausgeprägten Nachteil, daß der Zeithorizont ihrer Entscheidungsträger viel kürzer als bei der Monarchie ist. Für den Monarchen besteht im Gegensatz zu Parlamentariern keine Notwendigkeit, in den nächsten vier Jahren möglichst viel Steuern aus dem Land herauszupressen, um seine eigenen Ziele zu verfolgen. Er kann sich Zeit lassen und die Wirtschaft der Gesellschaft nur so stark belasten, daß ihre zukünftige Leistungsfähigkeit nicht beeinträchtigt wird. Durch die geringere Steuerbelastung ergeben sich mithin größere Anreize zur Kapitalakkumulation, wodurch wiederum Produktivität und Einkommen höher sind als in der Demokratie. Möglicherweise werden die Demokratiefans darauf antworten: Vielleicht stimmt es, daß die Demokratie in gewissen Belangen anderen Regierungsformen nachhinkt. Doch was bedeutet das anderes, als daß es eben keine vollkommene Regierungsform gibt? Der Demokratie ist immer noch der Vorzug zu geben, denn alles in allem sie ist die am wenigsten schädliche. In der Tat glauben auch Libertären, daß es keine vollkommene Regierungsform gibt. Nur ziehen sie daraus andere Konsequenzen. Sie wollen nicht die unschädlichste Regierung, weil ihnen auch dieser Schaden noch zuviel ist. Sie wollen gar keine Regierung, weil sie davon überzeugt sind, daß die bürgerliche Gesellschaft alle Aufgaben, die sich die Regierungen der Welt gewöhnlich anmaßen, mindestens genauso gut bewältigen können. Libertäre glauben nicht, daß eine staatsfreie Welt vollkommen wäre. Sie wissen, daß Menschen keiner Regierung bedürfen, um sich zu irren und um kriminell zu werden. Aber sie wissen auch, daß man diese Übel nicht aus der Welt schaffen kann, indem man sie noch verstärkt. Die Existenz von Regierungen bedeutet nun nichts anderes als solch eine Verstärkung der Übel, die sie angeblich bekämpfen sollen. Denn eine Regierung und der ihr unterstehende Apparat sind nichts anderes als eine Gruppe von Menschen, die ungestraft das Eigentum anderer verletzen dürfen.