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1930-1939

Beitrag für 'Der Stand und die nächste Zukunft der Konjunkturforschung' (1933)
Die Legende vom Versagen des Kapitalismus (1932)
Der Streit um die Wertlehre (1932)
Der Kampf um die englische Handelspolitik (1932)
Die Stellung des Geldes im Kreise der wirtschaftlichen Güter (1932)

Beitrag für 'Der Stand und die nächste Zukunft der Konjunkturforschung' (1933)

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Quelle: Der Stand und die nächste Zukunft der Konjunkturforschung,
Festschrift für Arthur Spiethoff, München: Duncker & Humblot 1933

Ludwig v. Mises (Wien)

Man hat mitunter die Auffassung vertreten, die Erkenntnis der den Konjunkturwechsel auslösenden Ursachen werde dazu führen, daß man durch zweckmäßig gewählte wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Krisenvorbeugung die Wellen glätten werde. Man werde frühzeitig den Aufschwung drosseln, um den unvermeidlich auf ihn folgenden Niedergang zu mildern. So werde in den Verlauf des Wirtschaftslebens mehr Gleichmaß kommen. Begleiterscheinungen des Aufschwungs, die von vielen als unerfreulich angesehen werden, würden damit künftig ganz oder zumindest zum größten Teil entfallen. Vor allem aber werde man die Opfer, die Krise und Niedergang fordern, und die kaum jemand anders als abfällig beurteilt, auf ein geringes Maß herabdrücken oder ganz vermeiden können.

Manche haben diese Aussicht als wenig erfreulich angesehen und gemeint, die segensreichen Wirkungen des Aufschwungs seien mit den Nachteilen der Depression nicht zu teuer bezahlt Nicht alles, was in der Aufschwungsperiode geschaffen wurde, sei Fehlanlage und müsse dann der Krise zum Opfer fallen; es gebe auch bleibende Früchte der günstigen Konjunktur, und der wirtschaftliche Fortschritt könne sie nicht entbehren. Die Mehrzahl der Wirtschaftspolitiker hat dagegen die Ausschaltung des Konjunkturwechsels als wünschenswert und notwendig bezeichnet. Die einen gelangten zu dieser Auffassung, weil sie dachten, es werde zur Erhaltung des von ihnen gebilligten kapitalistischen Systems beitragen, wenn der Wirtschaft die alle paar Jahre wiederkehrende Erschütterung durch Krisen erspart bleibe; andere wieder begrüßten das kommende Zeitalter der Krisenlosigkeit gerade aus dem Grunde, weil sie meinten, daß in der durch Schwankungen der Konjunktur nicht gefährdeten Wirtschaft die Ausschaltung des Unternehmers, der in ihren Augen als entbehrlicher Nutznießer fremden Fleißes erscheint, keine Schwierigkeiten bereiten werde.

Alle diese Schriftsteller, ob sie nun die Glättung der Konjunkturwellen günstig oder ungünstig beurteilten, waren der Meinung, daß vertiefte Einsicht in die Verursachung des Kreislaufs der Wechsellagen uns einem Zeitalter geringerer Schwankungen näherbringe. Hatten sie recht?

Auf diese Frage kann die nationalökonomische Theorie keine Antwort geben. Hier liegt kein Problem der Theorie, vielmehr ein Problem der Wirtschaftspolitik oder, richtiger, der Wirtschaftsgeschichte vor. Wird man die Maßnahmen, die über den Aufschwung zum Niedergang führen müssen, in Hinkunft wieder einleiten, obwohl die Kreise, die der Wirtschaftspolitik die Richtung weisen, mag auch ihre nationalökonomische Bildung im übrigen recht im argen liegen, über die Wirkungen einer Erweiterung des Zirkulationskredits heute besser unterrichtet sind als es, zumindest auf dem europäischen Festland, in früheren Jahrzehnten der Fall war?

Man kann heute die Zirkulationskredittheorie (monetäre Theorie) des Konjunkturwechsels so ziemlich als die herrschende Auffassung betrachten. Auch die, die eine andere Lehre vortragen, sehen sich genötigt, entscheidende Zugeständnisse an die Zirkulationskredittheorie zu machen. Alle Vorschläge, die zur Bekämpfung der gegenwärtigen Wirtschaftskrise gemacht werden, gehen von Gedankengängen aus, die die Zirkulationskredittheorie voraussetzen. Die einen wollen, weil sie um jeden Preis, auch um den einer auf den Aufschwung folgenden neuen Krise, aus den augenblicklichen Schwierigkeiten einen Ausweg verlangen, die Konjunktur durch Erweiterung der Umlaufsmittelmenge „ankurbeln“; die anderen lehnen diese Anregungen ab, weil sie die Scheinblüte einer durch Krediterweiterung herbeigeführten Prosperität und die darauf unvermeidlich folgende Krise vermeiden wollen. Auch die Befürworter der Ankurbelungs- und Initialzündungsprogramme erkennen, soweit sie nicht zur Klasse der ganz hoffnungslosen Dilettanten und Ignoranten gehören, die Schlüssigkeit der Gedankengänge der Zirkulationskredittheorie an. Sie suchen die Einwendungen, die ihnen vom Standpunkt dieser Lehre entgegengehalten werden, nicht etwa durch Bestreitung ihrer Wahrheit abzuwehren, sondern durch den Hinweis darauf, daß sie bloß eine „mäßige“, eine „dosierte“ Krediterweiterung oder „Geldschöpfung“ vorschlagen, die lediglich den weiteren Rückgang der Preise aufhalten oder abschwächen soll. Schon in dem Ausdrucke Re-Deflation, der in diesem Zusammenhang neuerdings gern gebraucht wird, liegt eine Anerkennung der Zirkulationskredittheorie; daß dabei auch noch beträchtliche Irrtümer mitlaufen, ist freilich nicht zu bestreiten.

Die den Aufschwung auslösende Kreditausweitung ist jedesmal von dem Gedanken geleitet worden, man müsse die Stockung durch „billiges“ Geld überwinden. Man hat vergebens versucht, diese Feststellung als unrichtig zu bezeichnen. Nur Unvertrautheit mit der Wirtschaftsgeschichte und dem wirtschaftspolitischen Schrifttum der letzten Menschenalter kann bestreiten wollen, daß der Wirtschaftspolitik ständig niedriger Zinsfuß als Ideal vorgeschwebt hat, und daß kaum jemals jemand in dieser Frage den Gläubigerstandpunkt, dem eher hoher Zinsfuß als wünschenswert erscheinen müßte, zu vertreten gewagt hat.(1) Weil man billigen Kredit wollte, hat man die Errichtung von Umlaufsmittelbanken gefördert und von ihnen immer Ermäßigung des Zinssatzes gefordert Alle Maßnahmen, die man ergriffen hat, um das „Anziehen der Diskontschraube“ zu vermeiden, hatten in der Vorstellung ihre Wurzel, daß man der Wirtschaft die Kreditbeschaffung erleichtern müsse. Daß die Senkung des Zinsfußes durch Kreditausweitung zu Preiserhöhungen führen muß, hat man dabei in der Regel nicht beachtet. Doch wenn man es auch gewußt hätte, man hätte von der Politik billigen Geldes nicht gelassen.

In der Frage der Preisgestaltung ist die öffentliche Meinung nicht in der Weise in einer Richtung festgelegt wie in der Zinsfußfrage. Hier hat es immer zwei Anschauungen gegeben: auf der einen Seite die Forderung der Erzeuger nach hohen Preisen und auf der anderen Seite die der Verbraucher nach billigen Preisen. Die Regierungen und die politischen Parteien haben, wenn sie nicht zur gleichen Zeit, je nach den Wählergruppen, um deren Gunst sie gerade buhlten, beide Forderungen als berechtigt erklärten, je nach der augenblicklichen Gestaltung der Preisbewegung bald die eine, bald die andere Losung auf ihre Fahnen geschrieben. Wenn die Preise stiegen, predigte man den Kampf gegen die fortschreitende Teuerung; wenn sie sanken, erklärte man, alles tun zu wollen, um dem Erzeuger wieder zu „vernünftigen“ Preisen zu verhelfen. Doch im Punkte der Preisverbilligung begnügte man sich in der Regel mit Maßnahmen, die den angestrebten Erfolg nicht erreichen konnten; das allein wirksame Mittel — Einengung des Zirkulationskredits — wollte man nicht ergreifen, weil man den Zinssatz nicht hinauftreiben wollte.(2) Dagegen hat man in Zeiten des Preisniederganges sich um so leichter zu Maßnahmen der Kreditausweitung entschlossen, als dieses Ziel durch die ohnehin beliebte Zinsfußsenkung zu erreichen war.

Wenn man heute die Bedenken, die gegen die Ausweitung des Zirkulationskredits geltend gemacht werden, damit zu entkräften sucht, daß man erklärt, man wolle nichts anderes, als den in den letzten Jahren eingetretenen Preisfall beheben oder wenigstens weiteren Niedergang der Preise verhindern, so ist auch das nichts Neues. Ähnlich hat man auch im Zeitalter der bimetallistischen Bewegung argumentiert.

Die Erkenntnis, daß die sozialwirtschaftlichen Folgen der Geldwertveränderungen — abgesehen von der Einwirkung auf den Inhalt der auf Geld lautenden Verpflichtungen — allein dem Umstand zuzuschreiben sind, daß die Geldwertveränderung nicht gleichzeitig und gleichmäßig allen Gütern und Dienstleistungen gegenüber zum Ausdruck kommt, das heißt, daß nicht alle Preise gleichzeitig und gleichmäßig steigen, ist heute kaum noch bestritten. Man verkennt auch nicht mehr so allgemein, als es noch vor wenigen Jahren geschah, die Tatsache, daß die lange Dauer der gegenwärtigen Krise vor allem darauf zurückzuführen ist, daß durch die Lohnpolitik der Gewerkschaften die Löhne und durch verschiedene Preisstützungsaktionen ein Teil der Preise starr wurden, so daß sie die rückläufige Bewegung der Preise der Mehrzahl aller Güter überhaupt nicht oder nur mit übergroßer Verspätung mitmachen. Man gibt, ungeachtet aller entgegenstehenden politischen Hemmungen, heute schon zu, daß die dauernde Massenarbeitslosigkeit eine notwendige Folgeerscheinung der Versuche ist, durch die Intervention die Löhne über dem Stande zu erhalten, den sie auf dem unbehinderten Markte einnehmen würden. Man zieht aber aus alledem durchaus nicht die richtigen Schlüsse für die Wirtschaftspolitik. Nahezu alle Vorschläge zur Ankurbelung durch Kreditausweitung nehmen als selbstverständlich an, daß die Löhne der aufsteigenden Bewegung der Preise nicht eher nachfolgen werden, bis ihre verhältnismäßige Überhöhung geschwunden sein wird. Man stimmt gerade darum den Inflationsprojekten aller Art zu, weil man es nicht wagt, die von der öffentlichen Meinung gebilligte Lohnpolitik der Gewerkschaften und ihre Förderung durch die Regierangen offen zu bekämpfen. Solange aber die heute herrschenden Auffassungen über die Lohngestaltung und ihre Beeinflussung durch interventionistische Maßnahmen bestehen, ist man nicht berechtigt anzunehmen, daß in einer Periode steigender Preise die Geldlöhne stabil erhalten werden könnten. Noch stärker verkennt man den Ursachenzusammenhang, wenn man an den Vorschlag einer begrenzten Kreditausweitung besondere Erwartungen knüpft. Die Unternehmer lassen sich durch das reichlichere und billigere Kreditangebot nur dann zur Befassung mit Geschäften, die bei dem höheren — dem unbeeinflußten Geldmarkt entsprechenden — Stand des Zinssatzes nicht rentabel erschienen, verlocken, wenn sie damit rechnen, daß die niedrigen Zinssätze noch längere Zeit anhalten, so daß sie sie ihren Berechnungen zugrunde legen dürfen. Wenn man laut verkündet, man werde schon rechtzeitig dafür sorgen, daß die Schaffung zusätzlichen Kredits ein Ende finde, muß der gesuchte Erfolg ausbleiben. Niemand wird sich in neue Geschäfte einlassen wollen, wenn ihm schon von vornherein klar sein muß, daß sie nicht erfolgreich durchgeführt werden können. Der Mißerfolg, den verschiedene Ankurbelungsversuche der allerjüngsten Zeit erlitten haben, erklärt sich eben daraus, daß man im Hinblick auf die Kundgebungen der Stellen, die die Verantwortung für die Politik der Umlaufsmittelbanken tragen, annehmen mußte, daß die Zeit billigen Geldstandes sehr bald ein Ende finden werde. Man kann nicht durch Kreditexpansion „ankurbeln“, wenn man dabei schon von der künftigen Restriktion spricht. Daß jede Kreditausweitung einmal durch Einstellung der Gewährung weiteren zusätzlichen Kredits zum Stillstand kommen, und daß diese Einstellung den Umschlag der Konjunktur auslösen muß, wußten die Nationalökonomen schon seit langer Zeit, und ein Blick in die Tages- und Wochenpresse der Aufschwungsjahre seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts zeigt, daß diese Erkenntnis nicht auf enge Kreise beschränkt war. Doch die Spekulanten, aller Theorie abhold, wußten es nicht und ließen sich in neue Geschäfte ein. Wenn aber die Regierungen verkünden, daß die Kreditausweitung nur kurze Zeit fortgehen soll, dann kann es niemand verborgen bleiben.

Man ist heute leicht bereit, die Bedeutung dessen, was zur Erhellung des Konjunkturproblems in der letzten Zeit geleistet wurde, zu überschätzen, und die großen Leistungen der Currency-Schule beträchtlich zu unterschätzen. Für die praktische Konjunkturpolitik hat man noch lange nicht all das ausgeschöpft, was man aus den Lehren der alten Currency-Theoretiker lernen könnte. Von der modernen Konjunkturlehre hat die Praxis bisher kaum irgend etwas lernen können, was sie nicht schon von der Currency-Lehre hätte erfahren können. Unglücklicherweise läßt sie die Theorie noch immer gerade dort im Stiche, wo die Belehrung am dringendsten nottäte: in der Beurteilung der Wirkungen sinkender Preise. Allgemeiner Preisrückgang wurde zu allen Zeiten ungünstig beurteilt; heute stört die Starrheit der Löhne und mancher anderer Kostenfaktoren noch mehr als früher die unbefangene Betrachtung des Problems. Es wäre wohl an der Zeit, die Wirkungen sinkender Geldpreise grundsätzlich zu untersuchen und sich mit der weitverbreiteten Auffassung auseinanderzusetzen, die glaubt, daß sinkende Preise und fortschreitende Mehrung des Sozialprodukts und mithin des Wohlstandes unvereinbar sind. Daran hätte sich die Frage zu knüpfen, ob es denn wahr sei, daß nur inflatorische Vorgänge fortschreitende Kapitalbildung und Ausgestaltung des Produktionsapparats ermöglichen. Solange an der naiv inflationistischen Fortschrittstheorie festgehalten wird, werden die Vorschläge, durch Kreditausweitung Aufschwung auszulösen, immer wieder Erfolg haben. Die notwendige Verbundenheit von Kreditausweitung und Kreislauf der Wechsellagen hat schon die Currency-Theorie gezeigt, wenn auch nur in einer Schlußkette, die lediglich die national begrenzte Kreditausweitung berücksichtigte und dem Fall gleichmäßigen Vorgehens in allen Staaten, der im Zeitalter der Bestrebungen auf Kooperation der Notenbanken besonders wichtig ist, nicht gerecht zu werden wußte. Daß dessenungeachtet die Umlaufsmittelbanken immer wieder auf den Weg der Kreditausweitung gerieten, war zurückzuführen auf das Vorherrschen der Auffassung von der Ersprießlichkeit steigender Preise und ihrer Unentbehrlichkeit für den „Fortschritt“ und auf den Glauben, Erweiterung des Zirkulationskredits sei ein geeignetes Mittel, den Zinsfuß niedrig zu halten. Das Verhältnis von Umlaufsmittelausgabe und Zinsgestaltung ist heute genügend geklärt, zumindest so weit geklärt, als die unmittelbaren Bedürfnisse der Wirtschaftspolitik in Betracht kommen. Zu lösen bleibt das Problem sinkender Preise.

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(1) Das war immer so. Die öffentliche Meinung hat immer den Schuldnerstandpunkt geteilt. (Vgl. Bentham, Defence of Usury. Second Edition, London 1790, S. 102 ff.) Die Vorstellung, der Gläubiger sei der reiche, auf seinem Schein hartherzig bestehende, faulenzende Ausbeuter und der Schuldner der arme ausgewucherte Unglückliche, ist auch im Zeitalter der auf Inhaber lautenden Teilschuldverschreibungen und der Bank-und Sparkasseneinlagen nicht aufgegeben worden.

(2) Ein krasses Beispiel: die Diskontpolitik der Deutschen Reichsbank in der Inflationszeit. Vgl. Graham, Exchange, Prices and Production in Hyper-Inflation Germany, 1920—1923. Princeton 1930. S. 65 f.