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1930-1939

Wirtschaftsordnung und politische Verfassung (1936)
Londoner Ausgabe der Schriften von Karl Menger (1936)
Der Weg der österreichischen Finanzpolitik (1935)
Die Österreichische Nationalökonomie (1934)
Das Währungsproblem (1934)

Das Währungsproblem (1934)

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Quelle: Mitteilungen des Verbandes österreichischer Banken und Bankiers, Wien, XVI. Jahr, Nr. 10/11, November 1934, S. 271-277

(Vorbemerkung: Im Verlage von J o n a t h a n  C a p e in London
erscheint demnächst die von Professor Lionel Robbins besorgte englische
Ausgabe meiner „Theorie des Geldes und der Umlaufsmittel". Der
vorstehende Aufsatz bildet die Vorrede zu dieser Ausgabe.)

Die Fragen, mit denen sich die Währungs- und Bankpolitik beschäftigt, wechseln in ihrer äußeren Erscheinung von Monat zu Monat und von Jahr zu Jahr. Die theoretischen Gedankengänge, die uns zur Behandlung dieser Fragen befähigen, bleiben in diesem Wechsel unverändert. Darin eben liegt der Wert nationalökonomischer Erkenntnis, daß sie uns die Möglichkeit bietet, die Probleme nicht nur so zu sehen, wie sie der Tag zeigt, sondern sie, des zufälligen Beiwerks entkleidet, in ihrer eigentlichen Bedeutung zu erkennen. Die unmittelbaren Wirkungen von Maßnahmen, die getroffen werden können, sind meist auch ohne gründlichere nationalökonomische Erkenntnis zu begreifen. Die Aufgabe der Wissenschaft besteht aber gerade darin, die entfernteren Wirkungen der Maßnahmen vorauszusagen und uns damit zu befähigen, Maßnahmen zu meiden, die. ein Übel von heute dadurch zu heilen suchen, daß sie ein weit größeres Übel für morgen bereiten.

Seit die zweite deutsche Ausgabe dieses Buches (*) erschienen ist, sind zehn Jahre verstrichen, und die äußere Erscheinung der währungs- und bankpolitischen Probleme der Welt hat sich seither ziemlich verändert. Sehen wir aber genauer zu, so bemerken wir unschwer, daß im Grunde genommen der Streit heute um dieselben Probleme wie damals geht. Damals war England auf dem Wege, den Wert des Pfundes wieder auf jenen Goldwert zu heben, den er vor dem Kriege gehabt hatte. Man beachtete nicht, daß die Preise und Löhne im Lande sich dem niedrigeren Stande des Goldwertes des Pfundes angepaßt hatten und daß eine Zurückführung des Goldwertes des Pfundes auf den alten gesetzlichen (272) Stand, den es vor dem Kriege eingenommen hatte, zu Preissenkungen führen mußte, die die Lage der Unternehmer erschweren und das Mißverhältnis zwischen den tatsächlichen Löhnen und dem Lohne, der sich auf dem unbehinderten Arbeitsmarkte gebildet hätte, erweitern mußten. Es gab auch Gesichtspunkte, die dafür sprachen, ungeachtet dieser nicht zu bezweifelnden Nachteile die Wiederherstellung der alten Goldparität des Pfundes anzustreben. Man hätte das, was für, und das, was gegen diese Politik sprach, abwägen und dann die Entscheidung treffen müssen. Daß man die Maßnahme ergriff en hat, ohne die Öffentlichkeit vorher über die mit ihr notwendig verbundenen Nachteile genügend zu unterrichten, hat die Gegnerschaft gegen die Goldwährung außerordentlich gestärkt. Und doch waren die Übel, die man beklagte, nicht Folgen der Goldwährung, sondern allein dadurch bedingt, daß man die Stabilisierung des Goldwertes des Pfundes bei einem höheren Kurse durchgeführt hat, als dem Stande der Warenpreise und Löhne im Vereinigten Königreich entsprochen hätte.

Die Aufmerksamkeit der Welt war 1926 bis 1929 vor allem auf die amerikanische prosperity gerichtet. Wie in allen früheren Perioden des durch Kreditausweitung bewirkten Aufschwungs hat man auch damals geglaubt, daß die prosperity nie mehr schwinden werde, und hat die Warnungen der Nationalökonomen nicht hören wollen. Daß 1929 der Umschwung kam und eine schwere Wirtschaftskrise einsetzte, war nichts, was den Nationalökonomen überraschen konnte; er wußte, daß es so kommen muß, wenn er auch nicht in der Lage war, anzugeben, wann die Krise ausbrechen wird.

Nicht daß wir eine Periode der Ausdehnung des Kredits eben hinter uns haben und daß auf diese Periode eine solche der Depression gefolgt ist, ist das Bemerkenswerte an der währungs- und bankpolitischen Lage unserer Tage, sondern die Art und Weise, in der die Wirtschaftspolitik der Regierungen sich in dieser Lage verhalten hat und verhält. Man hat überall den Versuch unternommen, inmitten des allgemeinen Rückganges der Preise den Rückgang der Geldlöhne aufzuhalten, und man hat versucht, durch Aufwendung öffentlicher Mittel einerseits den Zusammenbruch von Unternehmungen, die die Krise zum Erliegen gebracht hätte zu verhindern, und anderseits durch Notstandsarbeiten die Wirtschaft anzukurbeln. Dadurch hat man eben jene Kräfte ausgeschaltet, die in den früheren Depressionszeiten schließlich die Anpassung der Wirtschaft, der Preise und der Löhne an die gegebenen Verhältnisse bewirkt und damit die Voraussetzungen für die Gesundung geschaffen haben. Man hat nicht sehen wollen, daß man durch die Stabilisierung der Löhne zu steigender Arbeitslosigkeit gelangen muß und daß man das Mißverhältnis zwischen Preisen und Produktionskosten und zwischen Produktion und Absatz, das das Kennzeichen der Krisenlage ist, andauern macht.

Es waren wesentlich politische Rücksichten, die zu dieser Haltung geführt haben. Die Regierungen wollten die Masse der Lohnempfänger nicht beunruhigen; sie wagten nicht, der Lehre entgegenzutreten, die hohe Löhne als das wichtigste Ziel der Wirtschaftspolitik ansieht und glaubt, daß man durch Gewerkschaftspolitik und durch Regierungseingriffe in einer Zeit sinkender Preise den Rückgang der Löhne aufzuhalten vermag. Die Regierungen haben daher alles getan, um den Druck, den die Verhältnisse auf die Lohnhöhe ausübten, zu mildern oder ganz zu beseitigen. Sie haben, um das Unterbieten der gewerkschaftlichen Löhne durch die Arbeitslosen zu verhindern, den wachsenden Massen der Arbeitslosen Arbeitslosenunterstützungen gewährt und sie haben die Zentralbanken gehindert, durch Erhöhung des Zinsfußes und Einschränkung der Kredite dem Reinigungsprozesse der Krise freien Lauf zu lassen.

Daß Regierungen, die sich zu schwach fühlen, um durch Steuern oder durch Anleihen jene Mittel zu beschaffen, die sie auszugeben für unumgänglich not- (273) wendig erachten, oder aber, ihre Ausgaben soweit einzuschränken, daß sie mit den ihnen zufließenden Einnahmen das Auslangen finden können, zu dem Mittel der Ausgabe von uneinlösbaren Noten greifen und damit Geldwertverschlechterung herbeiführen, war etwas, was in der Geschichte Europas und Amerikas wiederholt vorgekommen ist. Die Geldwertverschlechterung der jüngsten Zeit entsprang aber keineswegs dem Geldbedarf der Schatzämter. Man hat den Goldgehalt der Geldeinheit des Landes verringert, um das inländische Lohn- und Preisniveau vor einem weiteren Rückgang zu bewahren und um der eigenen Industrie Vorteile im Außenhandel gegenüber der Industrie anderer Länder zu verschaffen. Daß man solches mache, ist auch früher in Europa und Amerika gefordert worden. Aber die, die diese Forderung erhoben haben, sind, von weniger bedeutenden Fällen abgesehen, nicht in die Lage gekommen, ihre Wünsche erfüllt zu sehen Jetzt aber ging zuerst Großbritannien vom alten Goldgehalt des Pfundes ab. Statt den Goldwert des Pfundes dadurch aufrechtzuerhalten, daß von dem alten und nie versagenden Mittel der Erhöhung der Bankrate Gebrauch gemacht wird, haben Regierung und Parlament des Vereinigten Königreiches es vorgezogen, bei einer Bankrate von 4 1/2 % die Einlösung der Noten in Gold nach der alten gesetzlichen Parität aufzuheben und den Goldwert des Pfundes sehr beträchtlich sinken zu lassen. Man wollte es nicht dulden, daß die Preise in England weiter sinken und wollte wohl vor allem verhindern, daß Lohnsenkungen unvermeidlich werden.

Diesem Beispiel Großbritanniens sind andere Staaten nachgefolgt, vor allem die Vereinigten Staaten. Präsident Roosevelt hat den Dollar im Goldwerte verringert, weil er ein Sinken der Löhne verhindern und das Preisniveau der Prosperity-Periode von 1926 bis 1929 wieder herstellen wollte.

Auf dem Kontinent ist diese Politik zunächst von der Tschechoslowakischen Republik übernommen worden. In den ersten Jahren nach dem Kriege hat die Tschechoslowakische Republik aus Prestigegründen bedenkenlos eine Politik verfolgt, die darauf hinausging, den Wert der tschechoslowakischen Krone zu heben, und sie hat in diesem Bestreben erst haltgemacht, als sie erkennen mußte, daß die Hebung des Geldwertes den Export der tschechoslowakischen Industrie, behindert, den Import ausländischer Produkte erleichtert und die größte Gefahr für die Solvenz aller jener Unternehmer bedeutet, die einen mehr oder weniger beträchtlichen Teil ihres Betriebskapitals durch Bankkredite beschafft hatten. In den ersten Wochen dieses Jahres hat aber die Tschechoslowakische Republik den Goldwert der tschechoslowakischen Krone herab gesetzt, um den verschuldeten Unternehmungen Erleichterung zu verschaffen und das Sinken der Geldlöhne und der Preise zu verhindern, um den Export zu fördern und den Import zu hemmen. Wir sehen, daß in allen Staaten der Welt heute keine Frage so eifrig erörtert wird wie die, ob man die Kaufkraft der Geldeinheit erhalten oder herabsetzen soll.

Freilich wird überall behauptet, daß man gar nichts anderes anstrebe als die Zurückführung der Kaufkraft der Geldeinheit auf den früheren – geringeren – Stand, oder gar, daß man nichts weiter wolle als verhindern, daß die Kaufkraft des Geldes weiter steige. Aber es ist durchaus nicht abzusehen, warum man dann gerade dem Preisniveau von 1926 bis 1929 zustrebt und nicht einem anderen, etwa dem von 1913.

Wenn man glaubt, daß man in den Indexmethoden ein Mittel besitzt, um. dieser Währungspolitik eine feste Grundlage zu geben und sie von den verschiedenen und wechselnden wirtschaftspolitischen Auffassungen der Regierungen und der politischen Parteien unabhängig zu stellen, so habe ich auf das zu verweisen, was ich in dem vorliegenden Buche über die Unmöglichkeit sage, eine bestimmte Methode zur Errechnung der Indexzahlen als die allein wissen- (274) schaftlich richtige, und alle übrigen als wissenschaftlich falsch zu bezeichnen. Es gibt viele Wege zur Berechnung der Kaufkraft durch das Indexverfahren. Für jeden einzelnen dieser Wege sprechen gewisse ernst zu nehmende Gesichtspunkte; aber auch gegen jeden von ihnen sprechen ebenso viele ernst zu nehmende Gesichtspunkte. Da das Resultat einer jeden Berechnungsart von den Ergebnissen, die man durch andere Berechnungsmethoden erlangt, abweicht, und da jedes Ergebnis, wenn man es zur Grundlage währungspolitischer Maßnahmen macht, bestimmte Interessen fördert und andere Interessen schädigt, ist es klar, daß jede Gruppe von Interessenten sich für die Annahme jener Methode zur Errechnung der Indexzahl aussprechen wird, deren Ergebnis ihren Interessen am besten dient. In dem Augenblick, in dem man die Manipulierung der Kaufkraft als eine Aufgabe der Währungspolitik bezeichnet, muß die Frage, in welcher Höhe diese Kaufkraft festzulegen ist, höchste politische Bedeutung bekommen. Unter der Herrschaft der Goldwährung ist die Geldwertgestaltung abhängig von der Rentabilität der Goldproduktion. Das mag vielen als nachteilig erscheinen, und es ist richtig, daß dadurch ein unberechenbarer Faktor in die Wirtschaft eingeführt wird. Doch die Beeinflussung der Gestaltung der Warenpreise von der Goldseite her ist nicht jähen und heftigen Veränderungen ausgesetzt. Die stärksten Veränderungen der Geldwertgestaltung, die wir in den letzten hundert Jahren erlebt haben, sind nicht von Ereignissen der Geldproduktion, sondern von der Politik der Regierungen und der Notenbanken ausgegangen. Abhängigkeit der Geldwertgestaltung von der Goldproduktion bedeutet zumindest ihre Freiheit von Einflüssen der Tagespolitik. Die Loslösung der Währungen von einem ein für allemal festgelegten Wertverhältnis zum Golde hat die Geldwertgestaltung zu einem Spielball der Politik gemacht. Wir sehen heute, daß in der inneren und in der auswärtigen Wirtschaftspolitik die Gesichtspunkte der Geldwertgestaltung alle anderen Gesichtspunkte in den Hintergrund treten lassen. Wir sind nicht mehr weit von einem Zustand, in dem als Wirtschaftspolitik vor allem die Frage verstanden wird, wie man die Kaufkraft des Geldes gestalten soll. Soll man bei dem gegenwärtigen Goldgehalt der Währungseinheit bleiben oder soll man zu einem niedrigeren Goldgehalte der Währungseinheit übergehen, das ist die Frage, um die sich heute die Wirtschaftspolitik aller europäischen und amerikanischen Staaten in erster Linie dreht. Vielleicht stehen wir schon mitten drin in einem Wettlauf der Bemühungen, durch Verringerung des Goldgehaltes der Währungseinheit vorübergehende und bloß auf Selbsttäuschung beruhende Vorteile in dem Handelskriege zu erzielen, den die Staaten der zivilisierten Welt seit Jahrzehnten mit steigender Erbitterung und Schärfe und mit einem vernichtenden Ergebnis für den Wohlstand führen.

Es ist eine unbefriedigende Bezeichnung für diesen Zustand, wenn man ihn als Loslösung vom Golde bezeichnet. Keines der Länder, das in den letzten Jahren “den Goldstandard aufgegeben hat”, hat es vermocht, für das eigene Land oder gar für die ganze Welt die Bedeutung des Goldes als Tauschvermittler zu erschüttern. Was geschehen ist, war nicht ein Fortgehen vom Golde, sondern ein Fortgehen von dem alten gesetzlich festgelegten Goldgehalte der Währungseinheit, war vor allem eine Erleichterung der Last der Schuldner auf Kosten der Gläubiger, wenn auch das vornehmste Ziel der Maßnahmen. die möglichste Stabilisierung des Nominalausdruckes der Löhne und mitunter auch der Preise gewesen sein mag.

Den Staaten, die den Goldwert ihrer Geldeinheit aus den geschilderten Gründen verschlechtert haben, steht eine andere Gruppe von Staaten gegenüber, die die wegen allzu starker Erweiterung der inländischen Notenzirkulation eingetretene Verschlechterung der Bewertung ihrer Geldein- (275) heit gegenüber dem Golde nicht anerkennen wollen und die Fiktion aufrechterhalten, als ob ihre Geldeinheit noch den gesetzlich festgelegten Geldwert oder zumindest doch einen über den wirklichen Stand des Geldwertes hinausgehenden Geldwert besitze. Zur Aufrechterhaltung dieser Fiktion haben sie Devisenverordnungen geschaffen, die in der Regel den Exporteur dazu verpflichten, die ihm zufließenden Devisen zum gesetzlichen Goldwert, also mit beträchtlichem Verlust, abzuführen. Daß unter solchen Umständen der Notenbank Devisen nur in einem sehr beschränkten Umfange zukommen, bedarf wohl keiner weiteren Erklärung. Auf diese Weise entsteht in diesen Ländern “Devisenmangel”. Devisen sind eben zu dem gesetzlich gebotenen Preise nicht zu erhalten, und der heimliche Markt, auf dem die Devisen zu ihrem richtigen Preise gehandelt werden, steht der Zentralbank für ihre Einkäufe nicht zur Verfügung, da sie den dort verlangten Preis nicht zahlen will. Unter Berufung auf diesen Devisenmangel sprechen diese Staaten von Transferschwierigkeiten und verbieten ihren Untertanen, Zinsenzahlungen und Schuldrückzahlungen an das Ausland zu leisten. Der internationale Kreditverkehr ist damit nahezu ganz zum Stillstand gekommen. Die alten Schulden werden entweder gar nicht oder nur sehr unvollkommen. verzinst und beglichen, und von der Durchführung neuer internationaler Kredittransaktionen ist begreiflicherweise kaum die Rede. Wir sind nicht mehr weit entfernt von einem Zustand, in dem es unmöglich wird, nach dem Auslande Gelder zu verleihen, weil sich allmählich der Grundsatz durchgesetzt hat, daß jede Regierung berechtigt ist, jederzeit aus “devisenpolitischen” Rücksichten die Schuldzahlungen an das Ausland zu verbieten. Was für eine Bewandtnis es mit diesen devisenpolitischen Rücksichten hat, wird in meinem Buche ausführlich dargelegt. Hier sei nur das eine festgestellt, daß diese Politik in den letzten drei Jahren die internationalen wirtschaftlichen Beziehungen weit stärker geschädigt hat als die protektionistische Wirtschaftspolitik der vorangegangenen fünfzig oder sechzig Jahre, die Maßnahmen, die während des Weltkrieges getroffen wurden, mit einbegriffen. Die Unterbindung des internationalen Kreditverkehrs wird wohl nicht anders überwunden werden können, als daß man den Grundsatz, daß es in dem Belieben einer jeden Regierung steht, unter Berufung auf den durch ihre eigenen Maßnahmen hervorgerufenen Devisenmangel die Zinsenzahlung nach dem Ausland einzustellen und auch den Untertanen die Zahlung von Zinsen und die Rückzahlung von Schulden zu verbieten, beseitigt. Das wird nicht anders möglich sein als dadurch, daß man internationale Kredittransaktionen dem Einflusse der nationalen Gesetzgebung entzieht und für sie ein besonderes internationales, vom Völkerbund garantiertes und wirksam durchgeführtes Obligationenrecht schafft. Es wird kaum möglich sein, daß neue internationale Kredite gegeben werden, wenn diese Voraussetzungen nicht geschaffen werden. Da das Interesse aller Völker an der Wiederherstellung des internationalen Kreditverkehrs gleich groß ist, so kann man wohl erwarten, daß in den nächsten Jahren Bestrebungen in dieser Hinsicht sich geltend machen werden, wenn nicht überhaupt Europa durch Krieg und Revolution auf dem Wege fortschreitender Verelendung weitergeht. Das Geldwesen, das die Grundlage solcher künftiger Vereinbarungen bilden wird, wird aber kein anderes sein können als ein auf dem Golde begründetes. Das Gold ist kein ideales Geld. Auch die Goldwährung ist, so wie alles Menschliche, nicht frei von Mängeln aber es gibt unter den gegenwärtigen Verhältnissen heute und in absehbarer Zeit keine andere Möglichkeit, um das Geldwesen unabhängig zu gestalten von den wechselnden Einflüssen politischer Machtverhältnisse, Parteien und Regierungsmaßnahmen. Und nur ein Geldwesen, das von allen diesen Einflüssen unabhängig ist, kann die Grundlage bilden für Kredittransaktionen. Wer (276) die Goldwährung schilt, der vergesse nicht, daß sie es möglich gemacht hat, daß die Zivilisation des ig. Jahrhunderts nicht beschränkt geblieben ist auf die alten kapitalistischen Länder Westeuropas, sondern daß der Reichtum dieser Länder fruchtbar gemacht werden konnte für die Entwicklung aller Übrigen. Teile der Welt. Die Ersparnisse der kapitalistischen Länder eines kleinen Teiles von Europa, die allen übrigen Ländern weit voraus waren, haben die moderne Produktionsausrüstung der ganzen Welt ins Leben gerufen. Wenn die verschuldeten Länder die Bezahlung der alten Schulden ablehnen, so erleichtern sie ihre augenblickliche Lage. Es ist aber sehr fraglich, ob sie damit nicht ihre Zukunft auf das schwerste schädigen. Es ist daher wohl irreführend, in der Währungsfrage von einem Gegensatz der Interessen der Gläubiger- und der Schuldnerländer, der kapitalreichen und der kapitalarmen Länder zu sprechen. Gerade das Interesse der ärmeren Länder, die zur Entfaltung ihrer Produktivkräfte der Zufuhr ausländischen Kapitals bedürfen, läßt die Unterbindung des internationalen Kapitalverkehrs höchst gefährlich erscheinen.

Die Zerrüttung des Geld- und des Kreditwesens, die wir heute allenthalben sehen, ist, das muß immer wieder betont werden, nicht auf Unzulänglichkeit der Goldwährung zurückzuführen. Das, was man dem Geldwesen unserer Zeit vor allem vorwirft, der Preissturz der letzten fünf Jahre, ist nicht Schuld der Goldwährung, sondern die notwendige und unvermeidliche Folge der vorangegangenen Kreditausweitung, die über den Boom schließlich zum Zusammenbruch gelangen mußte. Das, was man als Heilmittel preist, ist wieder nichts anderes als eine Ausweitung der Kredite, die wohl zu einem vorübergehenden Boom, aber dann zu einer um so schärferen Krise führen müßte.

Die Schwierigkeiten im Geld- und Kreditwesen sind nur ein Teil der großen, ökonomischen Schwierigkeiten, unter denen die Welt heute leidet. Nicht Geld und Kredit allein sind krank, sondern die Wirtschaft überhaupt. Die Wirtschaftspolitik aller Staaten kämpft seit Jahren mit Eifer gegen die Grundlagen, auf denen das 19. Jahrhundert den Wohlstand der Völker aufgerichtet hat. Die internationale Arbeitsteilung wird als ein Übel angesehen, und man verlangt Rückkehr zur Autarkie entfernter Vorzeit. jede Einfuhr ausländischer Waren wird als Unglück bezeichnet, dem man mit allen möglichen Mitteln entgegentreten müßte. Mit ungeheurem Eifer verkünden mächtige politische Parteien die Lehre, daß der Frieden schädlich und der Krieg der Vater aller Dinge sei. Sie begnügen sich nicht mehr damit, den Krieg als eine angemessene Form des Verkehrs zwischen den Völkern zu bezeichnen, sondern empfehlen auch für die Lösung der innerpolitischen Fragen die Anwendung der Waffengewalt zur Unterdrückung des Gegners. Wenn die liberale Wirtschaftspolitik der Entwicklung, die jede Produktion nach jenem Standort verwies, an dem sie höchste Ergiebigkeit der Arbeit gewährleistet, keine Hindernisse in den Weg zu legen trachtete, sieht man heute umgekehrt in den Bestrebungen, Unternehmungen an Orten ungünstiger Produktionsbedingungen zu errichten, eine patriotische Handlung, die die Unterstützung durch die Regierung verdient. Man stellt an das Geld- und Kreditwesen unbillige Forderungen wenn man von ihm verlangt, daß es die Folgen solch verkehrter Wirtschaftspolitik beseitigen soll.

Alle Vorschläge, die darauf abzielen, die Folgen verkehrter Wirtschafts- und Finanzpolitik bloß durch Reform[en] des Geld- und Bankwesens zu beseitigen, sind im Grunde verfehlt. Das Geld ist nichts anderes als Tauschvermittler und erfüllt seine Funktion ganz, wenn der Austausch der Güter und, Dienstleistungen sich durch seine Vermittlung leichter, als dies bei direktem (277) Tauschverkehr möglich wäre, vollzieht. Die Versuche, von der Geldseite aus Wirtschaftsreform zu treiben, können immer nur darin bestehen, durch Erweiterung der Zirkulation der Wirtschaft einen vorübergehenden künstlichen Auftrieb zu geben, der, wie immer wieder betont werden muß, notwendigerweise zur Krise und Depression führt. Die periodischen Wirtschaftskrisen sind nichts anderes als die Folge der immer wieder ungeachtet aller bösen Erfahrungen und aller Warnungen der Nationalökonomen unternommenen Versuche, durch zusätzlichen Kredit die Wirtschaft anzukurbeln.

Man pflegt heute mitunter diese Auffassung der Dinge als “orthodox” zu bezeichnen, weil sie verwandt ist den Lehren der klassischen Nationalökonomen, die Großbritanniens unvergänglichen Ruhm bilden, und ihr als “moderne” Auffassung Lehren gegenüberzustellen, die den Ideen der Merkantilisten des 16. und 17. Jahrhunderts entsprechen. Ich vermag im Vorwurfe der Orthodoxie nichts zu erblicken, was gegen eine Lehre sprechen könnte. Es kommt nicht darauf an, ob eine Lehre “orthodox” oder “letzte Mode” ist, sondern darauf, ob sie richtig oder unrichtig ist. Und wenn meine Untersuchungen zu dem Ergebnis gelangen, daß man Kapital nicht durch Ausweitung des Kredits ersetzen kann, so mag dieses Ergebnis zwar manchem wenig erfreulich erscheinen, doch ich glaube nicht, daß man es durch logische Beweisführung zu erschüttern vermag.

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(*) 1924 im Verlage von Duncker & Humblot.